Medikamente wirksamer machen mit Deuterium Schweres Upgrade für Arzneien bringt längere Wirksamkeit

Quelle: Pressemitteilung

Ein Bonner Forscherteam ersetzt in Wirkstoffen mit einem neuen Verfahren gezielt Wasserstoff-Atome durch die schwereren Deuterium-Isotope. Damit verlangsamen sie den Abbau der Medikamente im Körper und wollen so die Wirksamkeit der Arzneien steigern.

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Das Team vom Kekulé-Institut für Organische Chemie und Biochemie der Universität Bonn (v. l.): Regine Mika, Jonathan Heinrich Schacht, Prof. Dr. Andreas Gansäuer und Sebastian Höthker.
Das Team vom Kekulé-Institut für Organische Chemie und Biochemie der Universität Bonn (v. l.): Regine Mika, Jonathan Heinrich Schacht, Prof. Dr. Andreas Gansäuer und Sebastian Höthker.
(Bild: Volker Lannert/Uni Bonn)

Bonn – Wasserstoff ist das leichteste aller Elemente. Es besteht lediglich aus einem positiv geladenen Proton und einem negativ geladenen Elektron. Man nennt es in dieser Form auch Protium. Allerdings gibt es noch zwei schwerere Wasserstoff-Isotope, Deuterium und Tritium – wenn auch diese deutlich seltener vorkommen als das „normale“ Wasserstoffisotop Protium. Der Deuteriumkern enthält zusätzlich zum Proton ein Neutron, beim Tritium sind es gar zwei Neutronen.

Seit einigen Jahren ist Deuterium in den Fokus der Pharmaforschung geraten, denn es kann dafür sorgen, dass Medikamente 5-, 10- oder sogar 50-fach langsamer abgebaut werden. „Wir nennen das den kinetischen Isotopen-Effekt“, sagt Prof. Dr. Andreas Gansäuer vom Kekulé-Institut für Organische Chemie und Biochemie der Universität Bonn. Ursache ist, dass viele Reaktionen – auch der Abbau von Wirkstoffen – nicht spontan ablaufen. Sie benötigen zunächst einmal einen leichten „Schub“, die Aktivierungsenergie. Es ist ungefähr so, als möchte man ein Modellauto über einen Hügel fahren lassen: Das klappt nur, wenn das Auto ausreichend Schwung hat. „Wenn man Wasserstoff durch Deuterium ersetzt, nimmt die Aktivierungsenergie in der Regel etwas zu“, sagt Gansäuer. „Dadurch laufen Reaktionen langsamer ab. Das betrifft auch die Verstoffwechselung von Pharmazeutika in der Leber.“

Angespannte Dreiecke

Anschauliches Experiment: Die roten Würfel aus gefrorenem Wassereis schwimmen ganz normal oben. Die grünen Würfel aus schwerem (deuteriertem) Wasser sinken ab.
Anschauliches Experiment: Die roten Würfel aus gefrorenem Wassereis schwimmen ganz normal oben. Die grünen Würfel aus schwerem (deuteriertem) Wasser sinken ab.
(Bild: Volker Lannert/Uni Bonn)

Wenn man Deuterium statt Protium in Medikamente einführt, entfalten sie also eine längere Wirkung. Sie können deshalb niedriger dosiert oder seltener eingenommen werden. Allerdings ist Deuterium selten und damit vergleichsweise teuer. Idealerweise sollte man also nur an den Stellen Deuterium einführen, an denen die Verstoffwechselung bevorzugt stattfindet.

Hier kommt ein neues Verfahren der Bonner Forscher um Gansäuer ins Spiel. Es basiert auf einer Klasse von Substraten, den Epoxiden, die heute fast beliebig auf vielen verschiedenen Wegen herstellbar sind. Man kann sich diese Gruppen als eine Art Dreieck vorstellen, bei dem zwei Ecken von Kohlenstoff-Atomen und die dritte von einem Sauerstoff-Atom gebildet werden. Solche Dreiringe stehen unter großer Spannung und reißen daher leicht an einer Seite auf. Epoxide speichern also wie eine gespannte Feder Energie, was sich für bestimmte Reaktionen nutzen lässt.

Schweres Schmerzmittel für längere Wirkung

„Wir haben Epoxide in verschiedene Testmoleküle eingeführt und den Dreiring dann mit unserem Katalysator geöffnet“, erklärt Gansäuer. „Dieser enthält ein Titan-Atom, an dem Deuterium gebunden ist.“ Wird der Epoxid-Ring zerschnitten, entstehen bildlich gesprochen zwei freie Enden. An eines davon bindet der Katalysator, der dann in einem zweiten Schritt das Deuterium auf das noch freie Ende überträgt. „Wir können auf diese Weise ein Deuterium-Atom an einer einzigen Stelle und mit einer ganz bestimmten und gewünschten räumlichen Orientierung einführen“, sagt der Forschungsleiter.

Ein weiterer Vorteil der Methode: Bei vielen komplexen Molekülen gibt es zwei verschiedene Möglichkeiten der Bindung, die sich spiegelbildlich zueinander verhalten. Das neue Verfahren kann dafür verwendet werden, dass fast ausschließlich eine der beiden Formen entsteht. „Da Gemische spiegelbildlicher Moleküle sich nur sehr schwer trennen lassen und sie zudem im menschlichen Körper oft unterschiedliche Eigenschaften haben, ist eine solche Stereoselektivität sehr wichtig“, erklärt Gansäuer.

Mit der entwickelten Methode konnten beispielsweise deuterierte Vorstufen des Schmerzmittels Ibuprofen und des Antidepressivums Venlafaxin hergestellt werden. Die Autoren sind zuversichtlich, dass sich das Verfahren zukünftig noch auf viele weitere Pharmazeutika anwenden lassen wird.

Originalpublikation: Dina Schwarz G. Henriques, Elena Rojo-Wiechel, Sven Klare, Regine Mika, Sebastian Höthker, Jonathan H. Schacht, Niklas Schmickler, Andreas Gansäuer: Titanocene(III) Catalyzed Precision Deuteration of Epoxides; Angewandte Chemie; DOI: 10.1002/anie.202114198

(ID:47910367)