Projektmanagement Pharmabauprojekte mit Erfolgsgarantie
So funktioniert Projektmanagement mit der Lean Site Management-Methode. Im Mittelpunkt des ehrgeizigen Investitionsprogrammes Biotest Next Level stand ein ambitioniertes Neubauprojekt. Schief gehen durfte nichts, die Uhr tickte von Anfang an. Eine Herausforderung für das Projektmanagement. Doch Lean Site Management und integrales Baumanagement entpuppten sich als die entscheidenden Erfolgsfaktoren. Ein Vorort-Termin in Dreieich bei Biotest.
Anbieter zum Thema

Das Produktionsgebäude am Rande des Biotest-Werksgeländes in Dreieich ragt 32 Meter in den Himmel – bei gutem Wetter kann man von der obersten Etage die Frankfurter Skyline sehen.
Doch für den Genuss der schönen Aussicht ist Ulrich Kaufmann und seinem Team in den letzten zwei Jahren nur wenig Zeit geblieben. Das 2015 gestartete Großprojekt des Pharmaunternehmens Biotest folgte vom ersten Spatenstich an einem straffen Zeitplan und der verlangte allen Beteiligten allerhand ab.
Die Frage, wie viele schlaflose Nächte ihm das Biotest-Projekt bereitet hat, lächelt Projektleiter Kaufmann, Associate Partner bei Drees & Sommer, einfach weg. Einige dürften es allerdings auch für einen alten Hasen wie ihn gewesen sein. Denn an Komplexität ist das Projekt schwer zu überbieten. Es ging nämlich nicht nur um den Bau des Produktionsgebäudes, neu ist auch die Energiezentrale, das Plasmalager, ein Teil der Logistik, ein Parkhaus mit 700 Stellplätzen und den Kauf der notwendigen Grundstücke.
Bauvorhaben der Superlative
Am besten verdeutlichen einige Zahlen die Dimensionen des Bauvorhabens: etwa 30 000 m2 Gesamtfläche, zirka 200 000 m3 umbautem Raum, etwa 1000 verfahrenstechnische Apparate und Package-Units sowie Lüftungsanlagen für eine Luftmenge von zirka 650 000 m3/h. Die 6367,62 m2 überbaute Fläche entfallen allein auf die sechs Ebenen des Produktionskomplexes, der Medienbereich liegt unterirdisch. Fünf Geschosse mit drei übereinander liegenden Produktionsebenen, Büro- und Laborflächen sowie ein Rohstoff-Lager beherbergt das Gebäude. Und genauso aufwändig wie die Aufarbeitung der Blutprodukte ist auch das Reinraum- und das Schleusenkonzept.
Beim Vorort-Termin mit der PharmaTEC-Redaktion im September 2017 ist der Großteil des Neubaus bereits mit technischem Equipment ausgestattet, überall wuseln Mitarbeiter herum. Die Vorbereitungen für Qualifizierung und Validierung laufen auf Hochtouren, 2018 steht die Operational Qualification an, für Ende 2019 ist das FDA Approval geplant, für 2020 dann der Produktionsstart. Der Stolz ist Kaufmann beim Rundgang durch die Produktionsgänge deutlich anzumerken, aber auch die Erleichterung, dass alles ohne größere Komplikationen über die Bühne ging. Immerhin gaben sich in der Hochphase des Baus fast 100 Firmen auf der Baustelle die Klinke in die Hand. Im Lean Management Container auf der anderen Straßenseite herrschte ein ständiges Kommen und Gehen.
Biotest investiert in die Zukunft
Mehr als 250 Millionen Euro nahm Biotest für den Neubau in die Hand – für den Mittelständler eine echte Investition in die Zukunft. Nach vollständiger Inbetriebnahme 2020 wird sich die Produktionskapazität mehr als verdoppeln. Die Plasma Fraktionierung soll von 1,5 auf 3,0 Millionen Liter steigen, die Produktion der Immunglobuline von 5,0 auf 12,5 Tonnen und die des Albumin von 42 auf 75 Tonnen. Drei neue verbesserte Produkte (Trimodulin, Fibrinogen, IgG Next Generation) werden dann in der neuen Anlage hergestellt und sollen dem Plasmaproteinspezialisten den Marktzugang mit wesentlich größeren Mengen sichern.
Ein Projekt der Superlative also, nicht nur was die Auswirkungen auf die Marktposition des Auftraggebers angeht, auch die Aufgaben für den Projektpartner Drees & Sommer waren eine echte Mammmutaufgabe: Projekt-Organisation, Kommunikation, Dokumentation, Risiko-Management, Kosten-, Termin- und Vertragsmanagement – allein das Organisationshandbuch umfasste 17 Kapitel. „Die Qualitätsanforderungen von Bauprojekten in der Pharmabranche sind besonders hoch. Meistens sind es Super-Fast-Track-Projekte, was eine große Herausforderung für die Abstimmungs- und Koordinationsprozesse ist“, erklärt Kaufmann. Im Klartext heißt das: Es darf absolut nichts schiefgehen, Projekte sind zeitlich auf Kante geplant und auf gar keinen Fall darf es teurer werden als geplant. Angesichts der Vielzahl der beteiligten Firmen und Gewerke also ein Drahtseilakt, bei dem alle an einem Strang ziehen müssen, damit der Traum von der Hightech-Produktion nicht zum Alptraum wird.
Koordination und Kostenmanagement
Die Stuttgarter Experten begleiten die Erweiterung bei Biotest seit der ersten Konzeptphase und unterstützten die gesamte Planung, Beschaffung und Realisierung der Produktionsanlagen. Die Auswahl des Generalplaners organisierte Drees & Sommer verantwortlich, direkt nach der Konzeptphase wurde nach einem zweistufigen Auswahlverfahren VTU mit ins Boot genommen.
Wie aber koordiniert man ein solch ambitioniertes Projekt? Und wie schafft man es, dass die Kosten nicht explodieren? „Wir nutzen die Lean-Management-Methode“, sagt Kaufmann und holt mit einigen Klicks eine Präsentation auf den Bildschirm seines Laptops. Was er im Folgenden erklärt, ist eine durchdachte Methode, die sich vom Kaizen-Prinzip ableitet und in zahlreichen Hochbau- und Infrastrukturprojekten erprobt ist. Geeignet ist die Methode für alle Projektphasen z.B. als Lean Design Management (LDM) bei der Planung und Lean Site Management (LSM) beim Bau. Worum es dabei geht? LSM ist zwar ein Steuerungsinstrument nutzt aber statt Face-to-Face-Reporting einen strukturierten Kommunikationsprozess besonders an den Schnittstellen und verringert so Reibungsverluste, die zwangsläufig auftreten, wenn viele Firmen und Menschen zusammenarbeiten. „Wir erweitern mit LSM die Sicht auf das Gesamtprojekt. Es geht um Prozessdenken statt Bereichsdenken“, präzisiert Kaufmann.
Wie das bei Biotest Next Level praktisch ausgesehen hat, verdeutlichen die Fotos, die immer noch im Lean Management Container hängen: Tafeln mit Steckkarten, Tische an denen Firmenvertreter, die Köpfe zusammenstecken und die typischen Meetingbilder. Morgens um 8:00 Uhr war Hochbetrieb im Container.
ann trafen sich Firmenvertreter und Bauleiter zur informellen Abstimmung, erzählt Jürgen Brandstetter, Geschäftsführer bei Gassmann + Grossmann Baumanagement. Das Unternehmen gehört zur Drees & Sommer-Gruppe und hat alle Aktivitäten auf der Baustelle im Auftrag der VTU überwacht und koordiniert. Kernkompetenz sei das Integrale Baumanagement, sagt er. Dabei stehe das kostenübergreifende Denken und das Verständnis für die Funktionalität des Gebäudes im Mittelpunkt.
Auf der Baustelle läuft alles im Takt
Dreh- und Angelpunkt der Vorgehensweise ist der detaillierte Projektablauf, der auf den Tag genau durchgetaktet ist. Dabei werden jeweils vier Wochen taggenau durchgeplant. Überblick schafft eine Tafel mit einzelnen Aktivitäten, Kennzahlen und To-Do-Listen. Auf Steckkarten ist die tagesaktuelle Tätigkeit des einzelnen Gewerkes notiert. Dabei überprüft jeder Teilnehmer seine Leistungen und plant den Tag: Welche Aufgaben stehen heute an? Wer fängt in welchem Bereich an? Gibt es Schnittstellen zu anderen Gewerken? „Wir erreichen damit, dass die Beteiligten über den Tellerrand ihres eigenen Gewerkes blicken“, erklärt Brandstetter.
Im Laufe des Tages aktualisieren die Firmenvertreter die Tafel. Haben sie eine Aufgabe erledigt, ändern sie die entsprechenden Karten. Gleichzeitig können sie feststellen, ob andere Gewerke die für sie relevanten Bereiche bereits bearbeitet haben. Dank der Tafelmethode kann jeder Beteiligte erkennen, an welcher Stelle im Ablauf sein Job steht, ob es Zeitverzögerungen gibt und welche Gewerke mit ihm gemeinsam auf demselben Areal arbeiten. Die Tafelplanung fungiert außerdem als Frühwarnsystem und weist darauf hin, ob die Arbeiten rechtzeitig fertig werden. „Diese aktive Beteiligung aller Firmen schafft Transparenz sowie Vertrauen und spart am Ende des Tages Zeit“, betont Brandstetter. Davon profitieren am Ende alle Beteiligten und der Mehrwert für den Auftraggeber liegt ohnehin klar auf der Hand: Wenn der Fokus auf der Erreichung des Ziels liegt, werden auch ambitionierte Projekte im Zeitplan umgesetzt.
(ID:45044861)