B&R-Übernahme durch ABB Orange in die Cloud – Den Weg zu Industrie 4.0 leichter machen

Autor / Redakteur: Dr. Ulla Reutner* / Wolfgang Ernhofer

Seit der Übernahme von B&R durch ABB sind erst wenige Monate vergangen – Da guckt man schon mal genau hin, wie sich das österreichische Unternehmen zur SPS IPC Drives präsentieren wird. Wie gewohnt, groß und eigenständig, so die Ankündigung. Bei den technischen Neuheiten liegt der Fokus auf individualisierter Massenfertigung, Vision-Systemen, auch für die Pharmaproduktion, und der neuen B&R-Edge-Architektur, auch für Brownfield-Anlagen. Alles Produkte, mit denen der Anbieter den Weg zu Industrie 4.0 wieder etwas leichter machen will.

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Unter ABB-Flagge wird B&R sein Prozessleitsystem Aprol, hier in der Anwendung beim Spezialchemikalien-Hersteller CHT R. Beitlich, weiterentwickeln. Zudem spielt es in den neuen Edge-Lösungen des Automatisierungsanbieters eine Rolle.
Unter ABB-Flagge wird B&R sein Prozessleitsystem Aprol, hier in der Anwendung beim Spezialchemikalien-Hersteller CHT R. Beitlich, weiterentwickeln. Zudem spielt es in den neuen Edge-Lösungen des Automatisierungsanbieters eine Rolle.
(Bild: B&R)

Später Aprilscherz oder Paukenschlag? Die Übernahme von B&R durch ABB, bekanntgegeben am 4. April dieses Jahres, bekam sehr unterschiedliche Prädikate. Hans Wimmer, der auch unter ABB-Dach Geschäftsführer des österreichischen Automatisierungsanbieters bleibt, ist sichtlich froh, bekanntgeben zu können: „Der Integrationsbedarf ist nicht sehr hoch, denn B&R ist kein Sanierungsfall – und die Überschneidung der Produktportfolios hält sich in Grenzen.“

Keine Frage: ABB hatte große Lücken in der Maschinen- und Fabrikautomation, die nun B&R abdeckt. Wie es mit dem B&R-Leitsystem Aprol weitergehen soll, gelte es zu prüfen, hatte Wimmer kurz nach dem Abschluss der Akquisition noch gesagt. Auf der Vor-Pressekonferenz zur SPS IPC Drives beeilt er sich zu verdeutlichen: „Wir haben auch in der Leittechnik keine Überschneidungen, denn wir sind im unteren Bereich, ABB mit seinen Systemen dagegen im mittleren und oberen Bereich angesiedelt.“

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Aprol habe nach wir vor große Erfolge als Leitsystem, sowohl in der Fabrik- als auch in der Prozessautomation, bestärkt Peter Gucher, der für den B&R-Vertrieb verantwortlich zeichnet, und sagt: „Es laufen derzeit Gespräche, wie man Synergien nutzen kann. “ Künftig werde ABB bei der Marktbearbeitung im Bereich Prozess wohl den Lead haben; B&R werde die Technik für die integrierte Automation mit einbringen.

Beständige OEE beim Übergang zu Losgröße 1

Grundlegende Weiterentwicklungen Aprol betreffend sind vor diesem Hintergrund derzeit nicht zu erwarten. Die Fabrik- und Maschinenautomation lässt dem Unternehmen, das auch als Geschäftsbereich von ABB unter dem Namen B&R agiert, genug Innovationsspielraum.

Der Korb an Innovationen, den man auf der Nürnberger Automatisierungsmesse im November präsentieren wolle, sei so voll wie nie zuvor, sagt der Geschäftsführer. Doch das Unternehmen macht es diesmal spannend: Wie die Lösung zur Unterstützung individualisierter Massenfertigung, die B&R als das Top-Highlight ankündigt, ausschauen soll, wird nicht näher konkretisiert. In Aussicht gestellt wird ein neues B&R-Produkt, das das massiv vereinfacht. Damit könne die Gesamtanlageneffizienz (OEE) beim Übergang von der Serienproduktion zu Losgröße 1 erhalten und zugleich ein attraktiver Return on Investment und eine möglichst niedrige Time-to-Market gewährleistet werden, erklärt Mechatronic Technologies Manager Robert Kickinger. Die Produktenthüllung kündigt er für den ersten Messetag, Dienstag, den 28. November, 9:30 Uhr auf dem B&R-Stand an.

Einfache Vision-Lösungen für Pharmalinien

Für Marktkenner überraschend ist der Einstieg von B&R in die industrielle Bildverarbeitung. Mit einer vollständig integrierten Vision-Technologie will das Unternehmen Maschinen künftig „Augen“ verleihen und gleichzeitig die Einbindung in eine Applikation vereinfachen.

Das Embedded-Vision-Angebot, das auf der SPS IPC Drives vorgestellt werden soll, reicht vom einfachen Vision-Sensor bis zu High-End Smart Cameras, integriert in B&Rs Systemwelt. Mithilfe von Softwarebausteinen von Mapp Technology, B&Rs modularer Entwicklerumgebung für Anwendersoftware, reichen wenige Klicks, um beispielsweise Bilder des Vision-Systems in Webvisualisierungen zu integrieren.

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Auch anspruchsvolle Aufgabenstellungen wie bei der Produktion von Pharmazeutika sollen damit abgedeckt werden können. Dabei können Steuerungs- und Vision-Aufgaben mit einem einzigen Werkzeug umgesetzt werden. Business Manager Controls Anton Meindl betont: „Kameras als Augen der Produktion sind ein wichtiger Bestandteil des Internet of Things und der Industrie 4.0. Unser System behebt die operativen Beschränkungen, die aus dem Mangel an Integration resultieren.“ B&R sei bestrebt, die beiden Welten aus Automatisierung und Machine Vision zu vereinen.

Cloud-Zugang für Pipelines bis Großanlagen

Dem weitgehend branchenübergreifenden Konsens zu OPC UA als M&M-Kommunikationsprotokoll entspricht B&R mit weiteren Neuheiten und einem Bekenntnis: „Die Zukunft gehört OPC UA, davon sind wir überzeugt“, meint Wimmer. Er verweist auf die Kombination mit TSN (Time-Sensitive Networking), deren Möglichkeiten anhand einer am Messestand live gezeigten Industrial-IoT-Demo mit Cloud-Anbindung gezeigt werden soll: Ein digitaler Zwilling wird in Echtzeit in der Cloud einsehbar, so die Ankündigung.

Um Maschinen und Anlagen eine Verbindung in die Cloud zu ermöglichen, wird B&R künftig mehrere Edge-Geräte auf Basis OPC UA TSN anbieten. Mit Edge connect, Embedded edge und einem Edge-Controller sollen künftig drei verschiedene Edge-Architekturen ermöglicht werden.

Edge connect bietet sich an, wenn keine Echtzeitsteuerung notwendig ist, etwa bei einer Pipeline, die mit Sensoren auf Leckage überwacht wird. Ein stündliches Signal, das direkt über OPC UA in die Cloud geschickt wird, informiert den Wartungstrupp. Die Lösung umfasst Buskoppler, die neben Steuerungs- auch Sicherheitsfunktionen beinhalten.Für größere Datenvolumen rät Sebastian Sachse, Technology Manager Open Automation bei B&R dagegen zur Embedded Edge, die Daten auf SPS-Ebene in größerem Umfang aggregieren und puffern kann, bevor sie sie in die Cloud schickt.

Für ganze Produktionslinien mit hunderten I/Os eignet sich als größte Lösung der sogenannte Edge Controller in Form eines Automation-PCs kombiniert mit einer Industrial-IoT-Plattform. Er kann auch komplexe Algorithmen berechnen, wie sie bei selbstlernenden Systemen eingesetzt werden. Auch Brownfield-Anlagen kann die Edge-Architektur von B&R fit für das Industrial IoT machen. Dafür bietet B&R die Orange Box, eine Kombination aus Software und Hardware an, die an bestehende Maschinen angeschlossen wird und sie so in die Edge-Architektur einbindet.

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In der Edge-Architektur steckt viel Aprol

Stefan Schönegger, Leiter der BU Open Automation Technologies, zeigt im Zuge der Vorstellung der Edge-Lösungen die Defizite von Feldbussen auf: „Die übertragen zwar akkurat Bits und Bytes – doch im Hinblick auf Security hinterlassen sie in einigen Anlagen offene Türen. Mit OPC UA schließen wir die Tür. Die Daten werden strukturiert, klassifiziert und eingeordnet.“

Den Gerüchten und Verunsicherungen, die Verfügbarkeit von TSN betreffend, hält er entgegen: Alle Kerntechnologien, die nötig seien, um das Beschriebene umzusetzen, seien fertig. B&Rs Edge-Architektur sei die modernste Industrial-IoT-Lösung, basierend auf offenen Kommunikatonsstandards – und in dieser Lösung stecke eine Menge Aprol drin.

* * Dr. Reutner ist Fachjournalistin und freie Mitarbeiterin, Kaufering. Kontakt zu B&R, Bad Homburg: Tel. +49-6172-4019-0

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