Anlagen- /Apparatebau Neuer Schub für die Mikrove rfahrenstechnik
Trotz anfänglicher Begeisterung dümpelt die Mikroreaktionstechnik in der Chemie so vor sich hin. Hergestellt werden allenfalls hochpreisige Spezialitäten. Der proof of concept für die Produktion einer Massenchemikalie stand bisher noch aus. Das BMBF-Projekt DEMiS ist jetzt angetreten diese Lücke zu schließen und könnte damit der jungen Technik einen entscheidenden Schub verleihen.
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Trotz anfänglicher Begeisterung dümpelt die Mikroreaktionstechnik in der Chemie so vor sich hin. Hergestellt werden allenfalls hochpreisige Spezialitäten. Der proof of concept für die Produktion einer Massenchemikalie stand bisher noch aus. Das BMBF-Projekt DEMiS ist jetzt angetreten diese Lücke zu schließen und könnte damit der jungen Technik einen entscheidenden Schub verleihen.
Noch vor zwei Jahren schien die Mikroverfahrenstechnik zum Sprung in die Produktion anzusetzen, der Durchbruch nur eine Frage der Zeit. Highlight war die 2002 bei der Clariant installierte mikrostrukturierte Technikumanlage zur Pigment-Herstellung. Mittlerweile sind die Experten der Clariant dem industriellen Durchsatz einen großen Schritt näher. „Wir haben gezeigt, dass 80 Tonnen Spezialpigment pro Jahr aus einem Mikrostrukturreaktor technisch machbar sind“, sagt Dr. Christian Wille, verantwortlich für die technische Vorausentwicklung im am Jahresanfang gegründeten Clariant Competence Centrum Mikroreaktionstechnik (C3-MRT), welches das erworbene Know-how nicht nur intern verbreiten, sondern auch extern vermarkten soll. Interessenten hat er genug, doch ein Auftrag für eine Produktionsanlage ist noch nicht dabei.
Größte Hürde: Das Equipment genügt nur selten industriellen Ansprüchen. Auch wenn sich eine Menge Start-up-Unternehmen auf dem Markt tummeln, die von Mischern über Reaktoren bis zu Verdampfern manches anbieten was das Herz eines Verfahrenstechnikers begehrt, ist nach Ansicht von Wille „vieles nach wie vor dem Prototypen-Bereich zuzuordnen.“ Daher sind fast alle mikrostrukturierten Pilotreaktoren Marke Eigenbau. Ebenfalls strittig ist der Weg zum industriellen Durchsatz.
Das von den Mikroreaktorherstellern propagierte Konzept zur Erhöhung der Durchsatzleistung, nämlich Numbering up durch Parallelschalten von Laborreaktoren, scheint zwar auf den ersten Blick eine pfiffige Idee zu sein, da die Klippen des klassischen Scale up elegant umschifft werden, doch für Prof. Leslaw Mleczko, Leiter des Kompetenzzentrums Reaktionstechnik und Katalyse bei Bayer Technologie Services gibt es ein Manko: „Die Gleichverteilung der Prozessströme auf die einzelnen Reaktionsmodule ist bisher noch nicht überzeugend gelöst worden.“
Änderung in Sicht
Wo derzeit Mikroreaktoren für den Markt produzieren, erfolgt das im Technikumsmaßstab. So wie in der Flüssigkristallproduktion bei Merck, deren Verfahrenstechniker Mikroreaktoren zur Herstellung einer Vorstufe einsetzen, oder der kontinuierlichen Multipurpose-Anlage zur Feinchemikalien-Herstellung, die seit Sommer letzten Jahres bei Bayer Technologie-Services in Betrieb ist und deren Module eine BTS-Entwicklung sind. Die Service-Mannschaft wickelt konzerninterne Aufträge von 100 bis 500 Kilogramm Produkt pro Auftrag ab.
Wer jedoch nach Ansätzen für die Produktion von Commodities fahndete, suchte bislang vergeblich. „Es gibt im Moment keinen Mikroreaktor, der Produktionsmengen jenseits der fünftausend Jahrestonnen liefern kann“, weiß Dr. Steffen Schirrmeister, Senior Process Engineer in der Research & Development Division bei der Uhde GmbH. DEMiS, das „Demonstrationsobjekt zur Evaluierung der Mikroreaktionstechnik in industriellen Systemen“, soll das jetzt ändern. Das 4,6 Millionen Euro schwere, vom BMBF bezuschusste Projekt, ist eine konzertierte Aktion zwischen dem Chemiekonzern Degussa und dem Anlagenbauer Uhde sowie den Universitäten Erlangen-Nürnberg, Dortmund, der TU Chemnitz, der TU Darmstadt und dem Max-Planck-Institut für Kohlenstoffforschung in Mülheim an der Ruhr.
Kern des Konzeptes ist das Equaling up. Produktionsmengen sollen hier durch eine Parallelisierung der Mikrostrukturen in einem großen Gehäuse erzielt werden - Vervielfachung der Mikroeffekte ist das Stichwort. „Wir haben uns auf die Fragestellung konzentriert, welche Effekte machen den Mikroreaktor effizient, und wie können diese Effekte in den industriellen Maßstab übertragen werden“, erklärt Dr. Georg Markowz, bei der Degussa Mitarbeiter der Abteilung Neue Prozesse im Service-Bereich Verfahrenstechnik und Engineering und dort Projektleiter von DEMiS, das Vorgehen.
Das greifbare Ergebnis der dreijährigen Arbeit steht nun in Hanau-Wolfgang. Mit vier Metern Höhe und 1,4 Metern Breite hat der Reaktor zwar rein optisch mit der oft zitierten Chemieanlage in der Aktentasche nicht viel gemeinsam, das Innenleben ist jedoch Mikrostruktur pur. Versteckt hinter der grauen Reaktorwand und gespeist von konventioneller Anlagentechnik, arbeitet ein Mikroreaktormodul in dessen haarfeinen Kanälen zur Zeit - für den Versuchsbetrieb gebremst - pro Stunde 1 kg Propylenoxid entsteht, ein wichtiger Grundstoff u.a. zur Polyurethan-Herstellung, von dem weltweit rund fünf Millionen Tonnen pro Jahr hergestellt werden.
Für die Modellreaktion, eine heterogen katalysierte Gasphasenepoxidation von Propen zu Propylenoxid mit Wasserstoffperoxiddampf, hatten Uhde und Degussa bereits in den vergangenen Jahren einen neuen Syntheseweg in der Flüssigphase ausgetüftelt, der mit dem Degussa-internen Innovationspreis gekürt wurde. Der neue Festbettkatalysator Titansilikat funktioniert auch im Mikroreaktor und vermeidet dank direkter Oxidation die Bildung von Koppelprodukten. „Trotzdem war anfangs bei einigen Fachleuten die Skepsis groß, ob die Reaktion auch in der Gasphase funktioniert“, erinnert sich Dr. Schirrmeister, DEMiS-Projektleiter bei Uhde. Jetzt erlaubt der Mikroreaktor den Verzicht auf das in der Flüssigphase notwendige Lösemittel und damit eine Prozessführung, die in konventionellen Apparaturen nicht möglich ist.
Neben dem Mikroreaktormodul beherbergt der Prototyp eine mikrostrukturierte Verdampfereinheit und einen Mikro-Mischer, der die dampfförmigen Edukte Propen und Wasserstoffperoxid miteinander vermischt. Um die Mikrostruktureffekte optimal zu nutzen sind die Einheiten ohne Rohrverbindungen direkt aneinander angeschlossen. „Die Integration eines Verdampfers in den Reaktor war zu Beginn des Projektes gar nicht geplant“, berichtet Dr. Markowz. Aber Wasserstoffperoxiddampf neigt zur Zersetzung, darum war es notwendig, den Dampf nah an der Reaktionszone zu erzeugen.
Neue Katalysatorkonzepte
Trickreich ist auch das mittlerweile patentierte Beschichtungs-Verfahren, das den Katalysator auf die Wände der mikrostrukturierten Strömungskanäle präpariert. Triebfeder des DEMiS-Projektes ist nämlich auch die Entwicklung neuer Katalysatorkonzepte, denn 80 Prozent aller chemischen Synthesen laufen katalysatorgestützt ab, der Knackpunkt dabei: Konventionelle Katalysatoren sind für den Mikroreaktor ungeeignet. „Um die Effekte der Mikroreaktoren wirtschaftlich nutzbar zu machen, muss die Aktivität der Katalysatoren in Abhängigkeit vom Stoffsystem um Faktoren höher sein“, erklärt Dr. Rüdiger Schütte, Leiter Verfahrenstechnik - Neue Prozesse im Bereich Verfahrenstechnik & Engineering bei der Degussa.
Bisher krankte die Katalysatorforschung allerdings an einem grundlegenden Problem: Wer schnelle, leistungsfähige Katalysatoren entwickeln wollte, suchte vergeblich nach Reaktorkonzepten, die neuen Reaktorkonzepte wiederum lagen auf Eis, da keine entsprechenden Katalysatoren vorhanden waren. „Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, haben wir uns entschlossen, Katalysator- und Reaktorentwicklung parallel zu betreiben“, erklärt Dr. Markowz.
Auch Prof. Mleczko von Bayer Technology Service sieht dank der Mikroverfahrenstechnik neue Lösungen für alte Verfahrensprobleme, z.B. bei der Katalysator-Desaktivierung, skizziert aber auch neue Ansätze: „Wären die Kosten von Komplett-Modulen ausreichend niedrig, könnte ein Reaktor-Modul vollständig ausgewechselt werden, anstatt eine In-Situ-Katalysator-Regenerierung oder einen Austausch des Katalysators durchzuführen.“
Mischleistung, Stoff- und Wärmetransporte sind in den dreidimensionalen, mikrokleinen Kanalstukturen stark intensiviert, und die kleinen Volumina entschärfen selbst stark exotherme Reaktionen und zu Explosionen neigende Synthesen. Diese inhärente Sicherheit nutzt man auch im DEMiS-Reaktor, denn die Gasphasenepoxidierung kann im Gegensatz zur konventionellen Reaktion im Explosions-Bereich durchgeführt werden, was eine bessere Selektivität und eine höhere Raum-Zeit-Ausbeute bringt.
Der Transfer in den Mikroreaktor weitet aber auch den Blick auf andere nur schwer beherrschbare Synthesen, wie Nitrierungen oder Oxidationen. „Gerade in der Pharma-, Agro- und Feinchemie werden immer wieder kritische oder interessante Synthesewege mit Reagenzien, wie Diazomethan, verworfen, da es für den Batch-Reaktor keine schlüssigen Sicherheitskonzepte gibt“, erklärt Prof. Mleczko. Im Visier bei Bayer ist auch die Polymerisation. Viele Kernverfahren zur Herstellung der Polymervorstufen verlangen wegen ihrer Exothermie eine enge Temperaturführung und sind daher prädestiniert für die Mikroverfahrenstechnik. Aber auch der Transfer von Mehrphasensysten in den Mikroreaktor ist in Arbeit.
Hausaufgaben bleiben
Argumente und Ideen für den Einsatz der Mikroverfahrenstechnik in der Chemie gibt es also reichlich. Doch bis die erste Großproduktion in Auftrag gegeben werden kann, sind noch einige Hausaufgaben zu machen. Der DEMiS-Reaktor im Industriepark Hanau-Wolfgang ist ein Einzelstück, entworfen und gefertigt in den Werkstätten der Degussa und der Uhde High Pressure Technologies GmbH. Er ist für die kommerzielle Nutzung noch zu teuer, aber das soll sich ändern. Um den industriellen Durchbruch zu ermöglichen, steht in den nächsten drei Jahren ein Konzept für die wirtschaftliche Serienproduktion und die Kooperation mit einem Zulieferunternehmen auf dem Programm von Degussa und Uhde - Kostensenkung ist das Ziel.
Auch Clariant arbeitet derzeit am Einsatz von Mikrostrukturkomponenten in der Produktion und hat zu deren Herstellung eine entsprechende Vereinbarung mit dem englischen Unternehmen Meggit, Division Heatric, geschlossen. Heatric baut nicht nur großtechnische Wärmetauscheranlagen für die Petrochemie, sondern bietet auch einen sog. Printed Circuit Reaktor an, der Modell für einen Industriemikrostrukturreaktor steht.
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