Digital Plant Kongress Motto des dritten Digital Plant Kongresses: „Standardisierung und Datenintegration“

Autor / Redakteur: Dipl.-Ing. Hans-Jürgen Bittermann / Anke Geipel-Kern

Wie ist es möglich, Planungsprozesse in den Prozessindustrien vor dem Hintergrund des globalen Wettbewerbs und kürzerer Projektzeiten noch effizienter und noch kostengünstiger zu gestalten? 180 Teilnehmer suchten am 9. und 10. Oktober auf dem Digital Plant Kongress Antworten auf diese zentralen Fragen. Liegt die Lösung in der Standardisierung?

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Hochkarätig besetzt: die Podiumsdiskussion am Ende des ersten Tages. Moderator Prof. Leon Urbas (v. l.) mit den Teilnehmern Dr. Sven Kleiner (EM Engineering), Heiner Temmen (Evonik), Ralph-Harry Klaer (BTS), Ralph Rösberg (Rösberg Engineering), Jan Rougoor (Siemens), Volker Siegelin (Bentley) und Dieter Hoffmann (Planting)
Hochkarätig besetzt: die Podiumsdiskussion am Ende des ersten Tages. Moderator Prof. Leon Urbas (v. l.) mit den Teilnehmern Dr. Sven Kleiner (EM Engineering), Heiner Temmen (Evonik), Ralph-Harry Klaer (BTS), Ralph Rösberg (Rösberg Engineering), Jan Rougoor (Siemens), Volker Siegelin (Bentley) und Dieter Hoffmann (Planting)
(Bild: Process)

Time-to-Market schwebt wie ein Damoklesschwert über den Verantwortlichen in der chemischen und pharmazeutischen Industrie – wer die neue Anlage schneller plant, ist mit seinem Produkt früher am Markt präsent, kann länger verkaufen.

Gibt es dazu einen Königsweg? Sicher nicht den einen. Aber es gibt Lösungsansätze, wie der Digital Plant Kongress 2013 (Hier geht´s zu den Bildergalerien) zeigte. Im Zentrum steht dabei die Forderung nach einer stärkeren Standardisierung, von Planungsabläufen ebenso wie von wiederkehrenden konstruktiven Elementen.

Alle abzusehenden Trends und Entwicklungen schreien geradezu nach einer Standardisierung, hieß es. Wobei der eine oder andere Teilnehmer den Begriff Standardisierung gern ablösen würde und lieber von Funktionen sprechen möchte: „Wir müssen bei Planungsprozessen dazu übergehen, in Funktionen wie Kühlung und Entlüftung zu denken, weniger in Komponenten wie Behälter, Pumpen und Kompressoren,“ lautete die Forderung.

Die Vorteile sind vielfältig: Standards (Funktionen) beschleunigen die Planung und sie erhöhen deren Qualität, weil sie helfen, Fehler zu vermeiden. Nicht zuletzt könne auch der jüngere Ingenieur-Absolvent schneller aktiv in ein Planungsprojekt einbezogen werden, lautete ein weiteres Argument.

Für Professor Leon Urbas (TU Dresden) sind Normen und Standards mit Vollständigkeitsanspruch wie die ISO 15926 für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) allerdings viel zu anspruchsvoll und zu komplex. Beispielsweise brauche ein Instandhalter nur einen kleinen Teil des Engineering-Modells. Das funktioniere mit partiellen Modellen auch einfacher, wie das integrierte EU-Projekt Com-Vantage zeige.

Dr. Sven Kleiner von der EM Engineering Methods eröffnete den Kongress mit einem interessanten Vergleich: „Was kann der Großanlagenbau vom Flugzeugbau lernen?“ lautete sein Vortrag. Die Parallelität: Auch im Flugzeugbau muss die Produktentwicklung immer schneller sein, müssen die Planer immer produktiver und die Planungs-Tools immer leistungsfähiger werden. Und hier wie da gilt: Die Prozesse sind komplex, multidisziplinär und wissensintensiv.

So funktioniert wissensbasiertes Engineering

Mit den Methoden der wissensbasierten Konstruktion (KBE = Knowledge Based Engineering) können diese Herausforderungen sehr effizient gemeistert werden, so die Erfahrung von Kleiner. Mit intelligenten Konstruktionsvorlagen (Templates = Schablonen) lasse sich die Konstruktion von Systemen gleicher oder ähnlicher Funktion dramatisch beschleunigen und so die Produktivität signifikant steigern. Das mindere zwar etwas die Kreativität der Konstrukteure, aber sie kommen schneller zu einem bereits in der Praxis bewährten Ergebnis.

So konnte beim Airbus A350 die Entwicklungszeit um bis zu 75 % reduziert werden, beim A400M gar bis zu 90 %. Die Qualität der Planung bleibe durch abgesichertes Prozesswissen auf einem hohen Niveau, so Kleiner. „Knowledge Based Engineering automatisiert wiederkehrende Routinetätigkeiten. Dokumentierte Ergebnisse von heute sind das Erfahrungswissen für Projekte und Produkte von morgen – und sparen Zeit und Kosten.“ Die Herausforderung, so Kleiner, sei die Frage, wie man Wissensträger motiviere, ihr Know-how in Templates zu hinterlegen.

Auch für Dieter Hofmann von Planting gilt: „Die Kunst ist, nicht alles immer wieder neu zu erfinden!“ Doch gerade bei den KMU werden seiner Erfahrung nach Standards noch zu wenig genutzt, obwohl eine Reihe von Großunternehmen wiederkehrende Module bereits definiert haben (Behälter, Tankanlagen, Kühlung, Entlüftung).

Verfahrenstechnische Anlagen sieht er im Grunde als eine Addition von Standard-Baugruppen: „In 90 % der Fälle gibt es bereits die Lösung, da muss nichts neu entwickelt werden.“ Zudem bieten Standards dem Planer ein hohes Maß an Sicherheit und gewährleisten Qualität. Kleiner: „Jede neue vom Standard abweichende Planung muss so gut sein, dass sie selbst zum Standard wird!“

Steiniger Weg zum integrierten Engineering

Neben der Standardisierung stand einmal mehr das Integrierte Engineering im Fokus der Referenten. Es gibt dazu im Grunde nur zwei Ansätze:

  • Der Planer vermeidet Schnittstellen, wenn er mit verschiedenen Werkzeugen oder Modulen auf derselben Datenbank arbeitet.
  • Es werden standardisierte Schnittstellen geschaffen, über die die verschiedenen Datenbanken der Werkzeuge Daten austauschen können.

Das ist schon innerhalb der verfahrenstechnischen Planung nicht trivial. Richtig schwierig wird es beim Austausch der Daten zwischen verfahrenstechnischer Planung und Automatisierungstechnik. Das liege daran, so Urbas, dass Beschreibungsmittel, Methoden und Werkzeuge der Prozesstechnik und der Automatisierungstechnik sich traditionell erheblich unterscheiden.

Zudem sei die automatisierungstechnische Planung der prozesstechnischen Planung nachgelagert und spätestens die Inbetriebnahme der Leittechnik liege auf dem kritischen Pfad eines jeden Anlagenprojekts. „Die Qualität des Datenaustausches zwischen Prozesstechnik und Automatisierungstechnik wirkt direkt auf Sicherheit und Wirtschaftlichkeit der Anlagen“, warnt Urbas.

Der Leidensdruck der Anwender scheint inzwischen hoch genug, um ein integriertes System zu fordern. Mehr als drei Viertel der Teilnehmer einer PROCESS-Umfrage sprechen sich dafür aus, vor allem vor dem Hintergrund des internationalen Wettbewerbs.

Heiner Temmen (Evonik Industries) forderte vor dem Hintergrund, dass CAE-Applikationen vielfach einen langen Lebenszyklus haben – zum Teil länger als zehn Jahre – ein komplettes Umdenken: Die bisherigen klassischen Ansätze seien nicht mehr erfolgsversprechend. „Dem modularen Konzept fehlen Möglichkeiten zum Informationsaustausch und zur Datenintegration, dem monolithischen Konzept mangelt es an Flexibilität sowie häufig auch an Vollständigkeit und damit auch an Möglichkeiten zum Informationsaustausch.“

Zukünftige Architekturen sollten als Hauptmerkmale Integrierbarkeit und Flexibilität aufweisen. Standardisierte Datenaustauschmodelle, wie sie zurzeit im Dexpi-Projekt erarbeitet werden, spielten dabei eine wesentliche Rolle, so Temmen. An die Anbieter der Planungs-Tools ging der Appell, dass sich die Unternehmen in Zukunft über Inhalte und Leistung positionieren müssen, nicht über proprietäre Schnittstellen.

Bei der virtuellen Inbetriebnahme die Erwartungen nicht zu hoch schrauben

Unter einer virtuellen Inbetriebnahme versteht man das Einspielen, Erproben und Ändern von Planungsdaten auf einer virtuellen Maschine, bevor die erfolgreich getesteten Programme auf die reale Maschine übertragen werden. Dass diese Vorgehensweise ihre Vorteile hat, ist unbestritten. Warum hapert es dennoch mit der Marktdurchdringung? Für Oliver Stern vom RIF – Institut für Forschung und Transfer liegt das häufig an der zu hohen Erwartungshaltung.

Die Vorstellung, die virtuelle Inbetriebnahme gewährleiste mit einem geringeren Aufwand eine schnellere Inbetriebnahme funktioniere gerade beim ersten Projekt eben nicht – deshalb sterben solche VIBN-Projekte vielfach bereits sehr früh.

Sein Rat lautet, die Erwartungshaltung nicht in den Himmel wachsen zu lassen.

Das erste Projekt sollte nicht zu komplex sein. Weniger sei oft mehr – nicht jede Komplexität sollte ins Modell aufgenommen werden. Oft sei es möglich, den Detailierungsgrad zu reduzieren – die Funktion darzustellen erfordere nicht immer die exakte Darstellung aller Komponenten. Ideal sei es, die virtuelle Inbetriebnahme an einer älteren, bereits bestehenden Anlage zu üben.

Axel Franke (BASF) und Ralph-Harry Klaer (Bayer Technology Services) präsentierten ein Positionspapier zum Thema ‚Laserscanning‘ – jedoch nicht in Form eines Vortrags, sondern in einem sehens- und hörenswerten Di-alog mit den Teilnehmern. Als Hauptakteur war Klaer insbesondere daran interessiert, Statements zu praktischen Erfahrungen zu sammeln. Provokant stellte er zur Diskussion: „Wir haben intelligente Werkzeuge – muss ei-gentlich auch der Anwender intelligent sein?“

Fakt ist: Der Aufwand zur Nutzung von Laserscans ist nicht zu unterschätzen. Mithilfe der Punktwolke kann man zwar Leitungen und Bögen usw. gegen Bauteile aus der Datenbank oder Bibliothek zuordnen – das funktioniert aber nicht bei komplexeren Bauteilen wie Armaturen, Pumpen usw. Da muss der Planer schon kreativ mitdenken. Ein Ausweg ist dann vielfach der Abgleich der Punktwolke mit einem älteren P+ID. Automatisiert sei das nicht möglich.

Laserscanning & Virtuelle Realität

Was steht nun in dem Positionspapier „Laserscanning und Virtuelle Realität – Ein Impuls für die Zukunft von 3D“ der Process Net-Fachgruppe Rechnergestützte Anlagenplanung von Dechema und VDI? Hervorgehoben wird das Potenzial in der Erstellung von Datenmodellen zur Visualisierung und Simulation mithilfe komplexer Laserscans. Damit ließe sich schnell und effizient eine Anlage oder eine Einzelkomponente digitalisieren. Der digitale Klon könne so den Weg für die Integration von Engineering- und Entwicklungssoftware frei machen. Doch nicht nur das: Die digitale Anlage könnte den Sprung aus den Datenspeichern in die Wirklichkeit schaffen. Augmented-Reality-Systeme sollen in Zukunft digitale Information und Visualisierung mit den realen Gegebenheiten vor Ort verschmelzen.

Fazit: „Standards sind kondensiertes Wissen“, formulierte ein Referent sehr anschaulich. Tatsache ist aber auch, dass Engineering in der Prozessindustrie eine komplexe Angelegenheit ist – Standards stoßen bisweilen an Grenzen, wenn besondere Flexibilität gefragt ist. Und zu bedenken ist, dass es unterschiedliche Sichten auf ein Projekt gibt, auch unterschiedliche Anforderungen an die Detaillierung.

Der Ingenieur bleibt gefragt

Wer mit Standards arbeitet, muss bei allen Vorteilen sicherstellen, dass jemand diese Standards dokumentiert und auch pflegt. „Wir werden in Zukunft mehr Administratoren zur Verwaltung von Standards beschäftigen müssen“, war in Würzburg zu hören. Auch diese Fragen sind zu beantworten: Wie kann das Unternehmen sicher stellen, dass die festgelegten und hinterlegten Funktionen beim Umstieg auf neue Planungs-Tools korrekt migriert werden? Wie also stellt man si-cher, dass das mühsam generierte Know-how nicht ins digitale Nirwana verschwindet?

Viele der anwesenden Planer werden mit Genugtuung festgestellt haben: Das Engineering komplexer Anlagen der Prozessindustrie ist ohne vertieftes Ingenieur-Know-how weiterhin nicht möglich. Anlagenplanung per Knopfdruck bleibt eine Vision.

Neuen Termin vormerken: Di.+Mi., den 07./08. Oktober 2014, Vogel Convention Center Würzburg

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* Der Autor arbeitet als freier Fachjournalist.

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