Modulare Automatisierungskonzepte Modulare Automatisierungskonzepte für die Prozessindustrie bieten neue Chancen
In der Softwareentwicklung, der Automobilindustrie und im Maschinenbau sind sie schon lange üblich: modulare Konzepte sorgen dort für höhere Flexibilität, Wiederverwendbarkeit von einzelnen Modulen und letztendlich für geringere Kosten. Auch in der Prozessindustrie ist der Trend zu beobachten, Anlagen in einzelne so genannte Package Units aufzuteilen. Hier sind die Hersteller von Automatisierungstechnik gefordert. Lesen Sie, was alles auf der To-Do-Liste in Sachen modulare Automatisierungskonzepte steht.
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Der Lebenszyklus einer Anlage in der Prozessindustrie ist relativ lang. Eine typische Produktionsanlage in der chemischen Industrie beispielsweise ist häufig so ausgelegt, dass sie über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten praktisch unverändert arbeitet. Selbstverständlich sind in dieser Zeit regelmäßige Wartungsarbeiten und gegebenenfalls auch der Austausch einzelner Komponenten notwendig. Die Grundstruktur der Anlage bleibt aber über den Lebenszyklus häufig unverändert bestehen.
Anlagen in der Prozessindustrie weisen einen sehr hohen Automatisierungsgrad auf. Eine Bedienmannschaft von nur einigen Personen reicht oft aus, um große Anlagen sicher zu bedienen. Der typische Aufbau eines Automatisierungssystems ist dabei die klassische Leitsystemarchitektur. Sensoren, die die chemischen und physikalischen Prozessparameter sowie die Zustände der Anlagenkomponenten erfassen, übertragen ihre Werte an die Leitwarte. Dort verarbeiten zentrale Rechner die Daten und steuern die Aktoren der Anlage, wie Pumpen, Rührwerke und Heizungen, an. Die gesamte „Intelligenz“ der Mess-, Steuer- und Regeltechnik befindet sich also in diesem zentralen Leitsystem.
Nachteile zentraler Leitsysteme
Den Nachteil, den man sich mit dieser Architektur einhandelt, ist der sehr hohe Aufwand für die Verdrahtung. Bei großen Anlagen können durchaus mehrere Tausend Sensoren und Aktoren notwendig sein, die alle zu einer zentralen Stelle verdrahtet werden müssen. Die zentrale Leitsystemarchitektur ist außerdem relativ unflexibel, wenn Änderungen oder Erweiterungen der Anlage anstehen, da stets auch die MSR-Technik des zentralen Systems angepasst werden muss.
Ein weiterer Nachteil ist der unterschiedlich lange Lebenszyklus von automatisierungstechnischen Systemen und prozesstechnischen Anlagen. Häufig müssen Steuerungen ausgetauscht werden, was aufgrund der Architektur ebenfalls mit einem hohen Aufwand verbunden ist. Das Konzept der zentralen Leitsysteme hat aber natürlich auch Vorteile. So kann z.B. die Sicherheit, die insbesondere in der chemischen Industrie eine große Rolle spielt, ideal gewährleistet werden. Auch die Anlagenverfügbarkeit – ebenfalls eine zentrale Forderung in der Prozessindustrie – ist so sehr hoch.
Das F3-Projekt und seine Ziele
Seit einiger Zeit gibt es in der Prozessindustrie Bestrebungen, Anlagen modular aufzubauen. Unter der Bezeichnung F3 hat sich 2009 ein Konsortium gegründet, das aus Unternehmen der chemischen Industrie und Forschungsinstituten in verschiedenen Ländern Europas besteht. Ziel des F3-Projekts, das für Flexible, Fast and Future Factory steht, ist die Entwicklung von Konzepten für modulare Produktionsanlagen in der Prozessindus- trie.
Die EU fördert das Konsortium, das insgesamt 25 Mitglieder hat, mit 18 Millionen Euro. Die Idee hinter dem Projekt ist der Aufbau chemischer Produktionsanlagen nach dem Baukastenprinzip. Einzelne Module – auch Package Units genannt – sollen nach dem „Plug-and-Play-Prinzip“ einfach miteinander kombiniert werden können, um eine Anlage zu realisieren. Von diesem Konzept verspricht man sich eine Reihe von Vorteilen. So lassen sich einzelne Anlagenteile einfacher austauschen, wenn beispielsweise die Automatisierungstechnik veraltet ist oder die Feldgeräte das Ende ihrer Lebensdauer erreichen. Auch die Wartung der einzelnen Package Units kann so entkoppelt vom Rest der Anlage erfolgen und bringt damit deutliche Erleichterungen.
Vergleichbar mit Automobilbau
Dieser Trend im Anlagenbau ist vergleichbar mit dem Automobilbau, wo ebenfalls ganze Baugruppen – beispielsweise Sitze oder die Lenkung – komplett von Zulieferern gefertigt werden. Der Anlagenbauer wird also in Zukunft eine Anlage nicht mehr komplett bauen, sondern einzelne spezialisierte Zulieferer werden verschiedene Package Units, wie Mischer, Fermenter etc. liefern, die der Anlagenbauer zu einer Gesamtanlage kombiniert. Damit ergeben sich auch bei der Planung und dem Bau einer Anlage wesentliche Vorteile, wie eine kürzere Planungsphase und eine schnellere Realisierung und Inbetriebnahme.
Wesentlicher Teil des F3-Projekts ist die Errichtung einer Demonstrationsanlage bei Bayer Technology Services in Leverkusen, in die die Resultate des Projekts einfließen sollen. Die Vorteile dieses Konzepts sollen letztendlich zu einer flexibleren, effizienteren und Ressourcen-schonenderen Produktion in der chemischen Industrie beitragen. Zentraler Bestandteil des Konzepts sind die bereits erwähnten Package Units. Dies können beispielsweise Mischer, Reaktoren oder Fördereinrichtungen sein.
Zu der Package Unit gehört aber nicht nur die mechanische Einheit an sich, sondern zusätzlich die elektrische Installation, die Sensorik und die Automatisierungs- und Steuerungstechnik. Die Hersteller solcher Package Units können von einer gewissen Standardisierung ihrer Produkte profitieren, die sie ggf. auch in größeren Stückzahlen an verschiedene Anlagenbauer liefern können.
Beim Errichter der Anlage liegt der Vorteil vor allem in der schnelleren und einfacheren Planung nach dem „Plug-and-Play-Prinzip“. Und auch dem Betreiber der Produktionsanlage bieten sich durch dieses Konzept viele Vorteile. Durch die Modularität seiner Produktionsanlage kann er sehr flexibel auf sich ändernde Anforderungen reagieren. Die Anlage lässt sich einfach erweitern bzw. modifizieren. Einzelne Package Units können ggf. ausgetauscht bzw. in anderen Anlagen weiter verwendet werden.
Automatisierung und Kommunikation
Eine wichtige Voraussetzung dafür, dass ein solches Konzept funktioniert, ist die genaue Definition der Schnittstellen. Neben den sowieso standardisierten mechanischen und elektrischen Schnittstellen sind hier insbesondere die Schnittstellen der Automatisierungstechnik von großer Bedeutung. Auch in dem neuen Konzept wird weiterhin eine zentrale Leitwarte der Punkt sein, von dem aus das Personal eine Anlage bedient und überwacht.
Ein großer Teil der „Intelligenz“ wandert aber in die Package Units, die ja über eine eigene Automatisierungs- und Steuerungstechnik verfügen. Es werden also nicht mehr einzelne Werte der Sensoren an das zentrale Leitsystem übertragen, das darauf mit Befehlen an die Aktoren reagiert. Stattdessen muss die zentrale Steuerung mit der Package Unit kommunizieren, um beispielsweise den Befehl zu geben, gewisse Mengen zu dosieren, zu mischen, zu erhitzen usw.
Die zentrale Automatisierungstechnik wird durch dieses Konzept also wesentlich entlastet, da die Package Units große Teile der MSR-Aufgaben direkt vor Ort erledigen. Die Algorithmen und Steuerungsprogramme implementiert der Lieferant der Package Units und kann sie dann in allen von ihm gelieferten Units erneut verwenden. Ein weiterer großer Vorteil dieser dezentralen Automatisierungs-Architektur ist der deutlich geringere Aufwand für die Verdrahtung der Sensoren und Aktoren. Die Kommunikation zwischen der zentralen Steuerung verläuft dann über Bussysteme, beispielsweise Profibus DP oder Profinet.
Anforderungen an die Automatisierungstechnik
Da die Automatisierungs-Hardware näher an den eigentlichen Prozess heranrückt, ergeben sich hier auch neue Anforderungen für die einzelnen Komponenten, die bei der zentralen Leitsystemarchitektur bisher keine Rolle gespielt haben. So müssen die Steuerungen beispielsweise die deutlich raueren Umgebungsbedingungen, die in der Nähe des Prozesses herrschen können, problemlos tolerieren.
Diese reichen von größeren Temperaturschwankungen über Belastungen durch Feuchtigkeit und Staub bis hin zu Schocks und Vibrationen. Eine weitere wesentliche Anforderung, die speziell in der Prozessindustrie auftritt ist der Explosionsschutz. Je nach Ex-Schutz-Zone müssen die verwendeten Komponenten daher die entsprechende Atex-Zertifizierung aufweisen. Die letzte wesentliche Anforderung ist die problemlose Verarbeitung der auftretenden Signale und die Möglichkeiten, über die verschiedenen Bussysteme zu kommunizieren.
Hersteller von Automatisierungstechnik wie Wago Kontakttechnik bieten für die Prozessindustrie ein umfangreiches Produktportfolio an. Mit dem umfangreichen Wago-I/O-System und den zugehörigen Steuerungen können Hersteller von Package Units praktisch alle Sensoren und Aktoren problemlos anbinden. Das Unternehmen bietet nach eigenen Angaben insgesamt das umfangreichste Produktprogramm in diesem Bereich auf dem Markt an.
Das Spektrum reicht von analogen und digitalen Ein- und Ausgängen bis hin zur Anbindung praktisch aller gängigen Feldbussysteme. Standardmäßig ist der Einsatz des Wago-I/O-Systems in explosionsgefährdeten Bereichen der Zone 2 möglich. Spezielle eigensichere digitale und analoge Busmodule ermöglichen auch den Anschluss der Peripherie in den Zonen 0 und 1. Die Automatisierungsfunktionen lassen sich mit den Ethernetcontrollern oder IPC des Systems einfach und komfortabel realisieren.
Fazit
In der Prozessindustrie liegt die Zukunft im Bereich modularer Anlagen. So genannte Package Units bestehen nicht nur aus mechanischen und elektrischen Komponenten, sondern enthalten gleichzeitig die Automatisierungstechnik. Für die Architektur der Automatisierungssysteme bringt dies eine wesentliche Veränderung mit sich. Ein großer Teil der Intelligenz wandert vom zentralen Leitsystem in die Package Units. Für Hersteller von Package Units, Anlagenbauer und -betreiber sowie für die Lieferanten der Automatisierungstechnik ergeben sich dadurch neue Chancen.
* Der Autor ist freier Fachjournalist in Wiesbaden.
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