Dynamische Simulation Mit dynamischer Simulation bekommen Sie ihre Prozesse in den Griff

Autor / Redakteur: Volker Butz, Dipl.-Ing. Gordana Hofmann-Jovic* / Anke Geipel-Kern

Dynamische Simulationen werden in der chemischen Praxis immer noch relativ selten eingesetzt, um Probleme in der Prozessführung zu lösen oder Prozesse zu optimieren. Vielen Betreibern erscheint die Relation von Aufwand zu Nutzen zu gering. Drei praktische Beispiele zeigen, dass sich der Einsatz einer dynamischen Simulation durchaus lohnen kann.

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Bei komplexen Anlagen, wie die hier gezeigte petrochemische Anlage, lohnt sich die dynamische Simulation, um Engpässe zu erkennen.
Bei komplexen Anlagen, wie die hier gezeigte petrochemische Anlage, lohnt sich die dynamische Simulation, um Engpässe zu erkennen.
(Bild: Infraserv Knapsack; ©chombosan - stock.adobe.com)

Viele Absolventen der Verfahrenstechnik beschäftigen sich während des Studiums und der Promotion intensiv mit der dynamischen Simulation. Spätestens in der betrieblichen Praxis spielt die Vorgehensweise dann eine untergeordnete Rolle. Doch woran liegt das? Viele Betreiber von chemischen Anlagen legen heute in der Planung die Produktionsprozesse mit modernen stationären Simulationstools auf einen bestimmten Betriebspunkt aus.

Anlagen ändern sich ständig

Während der Laufzeit einer Anlage kann es jedoch zu ständigen Lastwechseln und starken Fluktuationen kommen. Diese Schwankungen und Probleme bekommt erfahrenes Betriebspersonal in der Regel durch Erfahrungswerte in den Griff.

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Über die dynamische Simulation denken viele Betriebsleiter daher erst nach, wenn Erfahrungswerte keine Hinweise für die Ursachen von Problemen und deren Lösung mehr geben, heftige Systemschwankungen nur mit Spezialwissen über einzelne Zusammenhänge zu beruhigen sind oder sie Produktspezifikationen über einen längeren Zeitraum nicht mehr einhalten können.

„Gerade wenn Anlagenteile sehr stark voneinander abhängen oder eine Ursache eine Kettenreaktion auslöst, helfen Erfahrungswerte allein nicht mehr weiter“, sagt Dr. Moritz Wendt, der sich beim Industriedienstleister Infraserv Knapsack mit dynamischen Simulationen befasst. Daneben sind Änderungen von Spezifikationen, Lasten und starke Fluktuationen bei den Störgrößen, wie den Feedbedingungen, bei der langen Laufzeit von Anlagen nichts Ungewöhnliches. Sie führen jedoch häufig zu starken Schwankungen im gesamten Prozessverhalten. Auch hier liefern dynamische Prozessrechnungen wertvolle Hinweise.

Wann sich die dynamische Simulation lohnt

Die dynamische Simulation lohnt sich also immer, wenn Anlagenbetreiber ein tieferes Prozessverständnis hinsichtlich der Kopplungen der Prozessschwankungen zwischen den Anlagenteilen benötigen. Dabei sind die Anforderungen bei neuen und bestehenden Anlagen unterschiedlich.

Bei Anlagen im laufenden Betrieb geht es häufig darum, alternative Automatisierungsstrategien zu entwickeln und die bereits bestehenden Konzepte zu bewerten und zu verbessern. Hierfür sind verschiedene Schritte notwendig, die in Abb. 1 schematisch dargestellt sind.

Das in diesen Schritten entwickelte dynamische Prozessmodell, das mithilfe von realen Messkurven validiert wurde, bildet für die Entwicklung von Automatisierungsstrategien die entscheidende Grundlage. Wendt: „Wichtigste Herausforderung hierbei ist es, den realen Prozessverlauf durch die Anpassung der verschiedenen Parameter so genau wie möglich wiederzugeben. Konstruktionsparameter von Apparaten und Armaturen sowie die vorhandenen Positionierungen der EMSR-Ausrüstung werden dabei als gegeben hingenommen, um bauliche Veränderungen so weit wie möglich zu vermeiden.

Beispiel 1: Alternative Regelungskonzepte

Ein Beispiel aus der Praxis zeigt anhand der Prozessführung in einem Rohrreaktor, wie sich mit der dynamischen Simulation alternative Prozessführungsstrategien ermitteln lassen (Der Prozess ist in Abb. 2 schematisch skizziert). Die Problemstellung: Edukt B sollte im Abgas nur noch in möglichst geringer Konzentration zu finden sein.

Da die Konzentration im Abgas jedoch deutlich schwankte, ergriff der Betreiber selbst erste Maßnahmen. Dazu setzte er auf eine nichtlineare Feedbackregelung und errechnete den Überschuss von Edukt A aus der Konzentration von Edukt B im Abgas. Die Berechnung des Sollwertes für die beiden Eduktströme erfolgte aus dem vorgegebenen Produktstrom am Ausgang des Reaktors.

Das Betriebspersonal stieß mit dem eigenen Regelungskonzept jedoch an Grenzen. An dieser Stelle setzte Infraserv Knapsack mit der in Abb. 1 aufgezeigten Vorgehensweise an und entwickelte anhand von Betriebsdaten zunächst ein dynamisches Prozessmodell, um Regelungsalternativen zu erarbeiten. Dabei zeigte sich, dass für eine möglichst geringe Abgaskonzen­tration von Edukt B vor allem das Eduktverhältnis am Reaktoreingang entscheidend ist.

Die Validierung zeigte, dass die Tendenzen aus der Simulation mit den Kurvenverläufen aus den Messdaten übereinstimmten und die Korrelationen zwischen den Prozessgrößen widerspiegelten. „Wir konnten so die Interaktionen der Regelkreise verfolgen und Zusammenhänge zwischen den Verlaufskurven der Prozessgrößen herleiten“, sagt Wendt. „Dabei müssen wir die Betriebsdaten nicht exakt treffen. Wenn die Tendenzen stimmen, reicht das aus, um belastbare Vergleiche zwischen unterschiedlichen Prozessführungskonzepten ziehen zu können.“

Die Ergebnisse bestätigten, dass das Eduktverhältnis am Reaktoreingang in Echtzeit kalkulierbar und damit als Prozessführungsgröße geeignet ist. Die Planer bestimmten daher auf dieser Basis ein neues Konzept zur Sollwert-Kalkulation der Feed-Mengenströme.

Beispiel 2: Troubleshooting im Kolonnensystem

Ein weiteres Beispiel aus der Zusammenarbeit des Industriedienstleisters mit einem Kunststoffhersteller zeigt, dass sich durch dynamische Simulationen Betriebskosten in einem Kolonnensystem auch ohne hohen Investitionsaufwand senken lassen. Um mögliche Verbesserungen an der Anlage zu identifizieren, entwickelte Infraserv Knapsack mithilfe einer kommerziellen Simulationssoftware ein Modell des Verfahrens. Dazu wurde zunächst die Thermodynamik durch Abgleich der Parameter aus der Software-­Datenbank mit bekannten Messdaten validiert. Im Anschluss glichen die Fachleute die Daten aus dem Modell mit den Messdaten des realen Betriebs ab. Dadurch entstand ein exaktes Abbild der Realität, das eine systematische Suche nach Verbesserungspotenzial möglich machte.

Mit diesem Modell ging es dann an die energetische stationäre Optimierung: Die Verfahrenstechniker verlegten den Feed-Eintrag und verschoben damit den Betriebspunkt, was Rücklauf und Temperaturprofil veränderte. Beides beeinflusste jedoch massiv die Prozessdynamik sowie das Reglerverhalten und führte zu starken Systemschwankungen, die sich über die gesamte Kolonne inklusive Peripherie fortpflanzten.

Dadurch wurde ein Troubleshooting nötig. Deshalb erweiterte Infraserv Knapsack das validierte stationäre Modell mithilfe von neuen Betriebsdaten auf die dynamische Anwendung. Mithilfe des dynamischen Prozessmodells konnten Ursache und Wirkung analysiert werden.

Dabei zeigte sich: Die Ursachen lagen in der Sumpfregelung und der stark erhöhten Sensitivität im Temperaturprofil um den Reglerbereich. Geringe Fluktuationen bei den Randbedingungen führten zu starken Temperaturschwankungen im Sumpfbereich. Diese wurden mit den alten Reglerparametern nicht mehr gedämpft und übertrugen sich verstärkend auf andere Kolonnenbereiche. Somit wurde deutlich, dass die Parameter der Sumpfregelung neu angepasst werden mussten. Da die Ursachen nun lokalisiert waren, konnte der Kunde die neuen Regelparameter daraufhin selbst anpassen.

Beispiel 3: Machbarkeit von Regelungskonzepten

Bei Anlagen, die sich noch in der Planungsphase befinden, besitzen Ingenieure deutlich mehr Freiheitsgrade. Andererseits fehlt zu diesem Zeitpunkt noch ein validiertes Prozessmodell.

Planer setzen die dynamische Simulation daher in der Regel für Machbarkeitsstudien von Prozessführungskonzepten ein. Im Gegensatz zu bereits bestehenden Anlagen lässt sich dabei simultan das Design von Apparaten und Rohrleitungen anpassen sowie die EMSR-Ausstattung festlegen.

Im Rahmen eines Forschungsprojekts haben die Planer z.B. einen neuen Bio-Methanol-Prozess unter die Lupe genommen, und untersucht, ob eine dynamisierte Prozessführung möglich ist. Die Herausforderung: Die Anlage muss flexibel auf starke Lastschwankungen reagieren können, wie sie in einem dynamischen Energiemarkt mit ständig wechselnden Strompreisen vorkommen. Die Planer ermittelten daher Knackpunkte und Tendenzen mehrerer Prozessführungskonzepte. Sie ergründeten u.a. wie einzelne Prozesseinheiten interagieren und analysierten wie sich das auf Prozessgrößen und Apparate auswirkt. So kann man den Druck des zu verdampfenden Kühlmediums für die Regelung nutzen. Dadurch funktioniert die kontinuierlich laufende Anlage selbst bei Lastschwankungen zwischen zehn und 120 Prozent. Damit ergeben sich auch die Grenzen einer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung.

Wann lohnen sich also dynamische Simulationen für den Betreiber? Immer dann, wenn es nötig ist, neue Prozessführungskonzepte zu entwickeln oder bestehende zu bewerten. In beiden Fällen muss der Verfahrenstechniker verstehen, wie sich Prozessschwankungen zusammenhängender Prozessteile auf die Gesamtanlage auswirken.

Auch bei Anlagen in der Planungsphase sind dynamische Simulationsmethoden für Machbarkeitsstudien von Automatisierungskonzepten sinnvoll. Grundsätzlich erfordert der Einsatz dynamischer Simulationsmethoden schon in der Planungsphase im ersten Schritt immer einen gewissen Aufwand, er kann sich jedoch für weitere Planungsphasen bis hin zur realen Prozessführung bezahlt machen.

„Begleiten dynamische Simulationstools den gesamten Lebenszyklus, lässt sich der Gesamtaufwand in der Summe und auch der Aufwand für die Änderung von Regelparametern deutlich reduzieren“, ist Dr. Moritz Wendt überzeugt.

* * V. Butz ist Teamleiter Prozessentwicklung, G. Hofmann-Jovic ist Leiterin der Prozess- und Verfahrenstechnik bei Infraserv Knapsack, Hürth. Kontakt: Tel. +49-2233-48-1212

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