Zirkuläre Kreislaufwirtschaft Frontrunner bei der CO2-Konversion

Autor / Redakteur: Ulla Reutner / Gerd Kielburger

Nachhaltigkeit und Digitalisierung als Chance – Als einer der hochrangigen Vertreter der Chemieindustrie war Dr. Markus Steilemann, frischgebackener CEO von Covestro, Gast auf der Achema 2018. Im Rahmen eines Plenarvortrags verdeutlichte er die Chancen der Sektorenkopplung im Rahmen nachhaltiger Wertschöpfungsketten in der Chemie. PROCESS nutzte die Gelegenheit für ein Exklusiv-Interview zum Thema und fragte nach, welche Bedeutung dabei der Digitalisierung zukommt.

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Covestro-CEO Dr. Markus Steilemann (rechts) auf der Achema - im Gespräch mit Process-Chefredakteur Gerd Kielburger.
Covestro-CEO Dr. Markus Steilemann (rechts) auf der Achema - im Gespräch mit Process-Chefredakteur Gerd Kielburger.
(Bild: Ulla Reutner)

Herr Dr. Steilemann, Pushing boundaries, Grenzen verschieben– mit diesem Schlagwort überschreibt Covestro seine Ziele. Wie wird dies unter Ihrer Leitung konkretisiert?

Steilemann: Die Welt mit ihren zahlreichen Herausforderungen braucht zunehmend nachhaltigkeitsgetriebene Innovation. Diesem Bedürfnis zu entsprechen, ist Kernbestandteil unserer Strategie. Unter anderem muss die Produktion in der chemischen Industrie nachhaltiger werden. Fossile Rohstoffe, auf denen unsere Branche noch weitestgehend basiert, sind nicht nur begrenzt, sondern auch Ausdruck eines linearen Wirtschaftens, das irgendwann ein Ende erreicht. Wir haben daher schon früh begonnen, uns nach alternativen Quellen, die kreislaufwirtschaftsfähig sind, umzusehen.

Wie hat sich die Sichtweise auf das Thema Nachhaltigkeit verändert?

Steilemann: Früher war das eher Schadensbegrenzung. Heute ist Nachhaltigkeit Teil einer neuen Wirtschaft. Und um erneuerbaren Energien zum Durchbruch zu verhelfen oder Konzepte wie die Kreislaufwirtschaft umzusetzen, braucht es chemische Lösungen. Zum Beispiel hochwertige Kunststoffe, deren Komponenten unser Unternehmen entwickelt und anbietet und die etwa bei Windkraftanlagen für mehr Effizienz sorgen. Auch bei der Entwicklung der Batterietechnologie spielt die Chemie eine wesentliche Rolle. Bei all dem ist eine Versachlichung der Diskussion wichtig. Manche marktschreierisch verkündeten Lösungen sind oft keine. Es gilt vielmehr, in großen Zusammenhängen zu denken und langfristige Strategien, bei denen die Chemie immer elementarer Bestandteil ist, zu entwickeln.

Auf der Achema schaute man sich nahezu vergebens nach politischen Vertretern um. Verkennt die Politik der Bedeutung der Chemie bei alldem?

Steilemann: Gemeinsam mit der Politik haben wir schon viel erreicht. Bei der Energiewende etwa wird unsere Enabler-Rolle durchaus gesehen und geschätzt, etwa in den Kopernikus-Projekten, in denen es unter dem Stichwort Power-to-X darum geht, grüne Energie und Chemie sinnvoll und mit nachhaltiger Wirkung zusammenzubringen.

Als Werkstoff-Konzern ist Covestro ein großer Energieverbraucher. Wo sehen Sie sich im Benchmark mit Marktbegleitern?

Steilemann: Wir sind schon ein gutes Stück vorangekommen. Vor kurzem haben wir unsere Energieeinsparziele angehoben: Bis 2030 möchten wir den spezifischen Energieverbrauch gegenüber 2005 um 50 Prozent drosseln. Gleichzeitig bauen wir unsere Produktionskapazitäten massiv aus. Der absolute Energieverbrauch stellt für uns daher eine große Herausforderung dar. Energieeinsparung ist und bleibt ein klares Ziel. Meiner Ansicht nach ist daneben von großer Bedeutung, die Nutzung der regenerativen Energien konsequent auszubauen – in der gesamten Industrie. In diesem Kontext ist es wichtig, konkrete Ziele pro Branche zu definieren. Fair wäre es, dabei aufzuzeigen, was unsere Branche zur Reduktion des Energieverbrauchs beiträgt.

Heute basiert Ihre Produktion überwiegend auf fossilen Rohstoffen. Wie ändern Sie dies?

Steilemann: Wir arbeiten daran, wo dies ökologisch und wirtschaftlich sinnvoll ist, alternative Rohstoffe wie Biomasse und Kohlendioxid zu nutzen und so fossile Ressourcen wie Erdöl einzusparen. Hier machen wir gute Fortschritte, etwa bei der Verwendung von CO2 zur Produktion einer zentralen Komponente von weichem Schaumstoff, der speziell für Matratzen und Polstermöbel konzipiert ist. Diese Komponente, ein so genanntes Polyether-Polyol, stellen wir mit bis zu 20 Prozent CO2-Anteil seit 2016 in einer Pilotanlage in Dormagen her. Das Kohlendioxid stammt aus einer benachbarten Ammoniak-Anlage eines anderen Unternehmens. Wir können uns gut vorstellen, die Technik in Zukunft auch großtechnisch einzusetzen. Das hängt aber von vielen Faktoren ab.

Welche Bedeutung hat die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen und der Wissenschaft?

Steilemann: Genau das ist der Schlüssel zum Erfolg – die Verbindung aus anwendungsorientierter Wissenschaft und forschungsbasierter Industrie. Ein gutes Beispiel für sektorenübergreifende Kooperation ist das Forschungsprojekt „Carbon4PUR“, in dem ein europaweites Konsortium aus 14 Partnern unter Steuerung von Covestro daran arbeitet, aus Abgasen aus der Stahlindustrie Chemikalien für Kunststoffe herzustellen. Diese Initiative umfasst die gesamte Wertschöpfungskette. Es gibt viele weitere Beispiele. Etwa eine Kooperation mit Audi und BASF im Bereich biobasierte Autolacke. Hier haben wir einen Lackhärter entwickelt, dessen Kohlenstoffgehalt zu 70 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen besteht. BASF hat daraus einen Lack produziert, der an Audi-Karossen erfolgreich getestet wurde. Und kürzlich haben unsere Forscher zusammen mit Experten von Bayer und der Universität Stuttgart ein völlig neues Verfahren entwickelt, um die wichtige Grundchemikalie Anilin erstmals komplett aus Pflanzen herzustellen. So entstehen immer neue Bausteine für ein zirkulär orientiertes Wirtschaften.

Sehen Sie Covestro bei der Suche nach alternativen Rohstoffen in der Rolle des Frontrunners?

Steilemann: In den Bereichen, in denen wir tätig sind, durchaus. Doch es gibt viele unterschiedliche Wege, die diverse größere und kleinere Player in der Chemieindustrie verfolgen. Einige setzen auf synthetische Kraftstoffe als Energiespeicher und -träger – ein Gebiet, in dem wir nicht tätig sind. Die Nutzung von CO2 als alternative Kohlenstoffquelle, wie wir sie anstreben, wird von vielen Unternehmen und Forschungsinstituten vorangetrieben. Nicht jeder Weg wird zum Erfolg führen. Aber es wurde schon viel erreicht; in dem Thema ist absolut Musik drin. Das hat auch kürzlich der Rohstoffgipfel 2018 an der TU Berlin gezeigt, den Covestro zusammen mit der Hochschule und der Dechema organisiert hat.

Wie kann Ihre Digitalisierungsstrategie zur Ressourcen- und Energieeffizienz beitragen?

Steilemann: Auf vielfältige Weise. Allein in der Supply Chain stecken viele Reserven, die es zu erschließen gilt, etwa durch bessere Planung und Vermeidung von Fehlproduktionen. Indem wir Waren- und Rohstoffströme deutlich besser verfolgen, sparen wir auf den Transportwegen Energie ein. Auch bessere Anlagensteuerungen reduzieren den Ressourcen- und Energieverbrauch.

Weshalb stellt der Durchbruch der Digitalisierung eine solche Herausforderung dar?

Steilemann: Meist verwendet man disruptive Technologien zunächst für Bestehendes – um festzustellen, dass sie scheinbar doch keine viel höheren Effizienzen bieten. Irgendwann erkennt man: Man muss vom Ende her denken, was mit neuen Technologien erreichbar ist. In klassischen Industrien fehlt einigen die Vorstellungskraft, was mit Digitalisierung erreichbar ist, weil sie von heutigen Prozessen ausgehen. Wir versuchen, umgekehrt von der Digitalisierung aus auf unsere Industrie zu schauen, um zu erkennen, wie wir uns verändern müssen. Die große Frage ist, ob die chemische Industrie führend bleiben wird oder ob uns Internetriesen wie Amazon, Alibaba oder Tencent den Rang ablaufen.

Viele Digitalisierungsspezialisten sagen, nicht die Technologie sei die Herausforderung, sondern der Change-Prozess.

Steilemann: Richtig. Daher sagen wir eindeutig: Der Mensch steht weiterhin im Mittelpunkt. Wir haben einen Veränderungsprozess angestoßen und informieren klar, was Digitalisierung bedeuten kann. Wir wollen unsere Mitarbeiter dabei unterstützen, die notwendige Veränderung mit zu vollziehen, auch diejenigen, die nicht mit Digitaltechnologien groß geworden sind. Wir überlegen, diese sogenannten Digital Naives und die Digital Natives zusammenzubringen. Und wir schauen genau, wie sich die Digitalisierung auf die verschiedenen Tätigkeitsfelder auswirkt.

Ihr CTO Klaus Schäfer kündigte kürzlich an, dass Covestro – nach jahrelanger Arbeit mit Daten in Produktion und Betrieb – nun in die nächste Dimension eintritt. Was bedeutet das konkret?

Steilemann: Wir haben einen hohen zweistelligen Millionenbereich in die Digitalisierung der Produktion investiert. Nun starten wir unser auf mehrere Jahre angelegtes Projekt „Optimized System Integration“ (OSI2020). Ziel ist eine komplett integrierte Datenlandschaft. Sobald sämtliche Datenpools zur Verfügung stehen, nicht nur in der Produktion, sondern auch in Forschung und Entwicklung, Vertrieb und Marketing, wollen wir die nächste Ebene der Datenauswertung, unter anderem durch Nutzung künstlicher Intelligenz, einziehen.

Klingt spannend. Was ist Ihre größte Sorge im Zusammenhang mit der Digitalisierung?

Steilemann:Ich sehe eigentlich nur Chancen, das sage ich ganz ehrlich. Wenn überhaupt, dann wäre meine Sorge, dass wir nicht schnell und konsequent genug all diese Chancen nutzen. Geschwindigkeit ist hier ein Wert an sich.

Herr Dr. Steilemann, vielen Dank für das Gespräch.

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