Wasserwirtschaft Enormes Marktpotenzial für Anbieter von Wasser- und Abwassertechnologien
In den nächsten Jahren müssen weltweit umfangreiche Investitionen in die Wasserwirtschaft getätigt werden. Wie stehen die Chancen und Möglichkeiten deutscher Unternehmen, an diesem Markt zu partizipieren? Eric Heymann von Deutsche Bank Research steht im Exklusivinterview Rede und Antwort. Sein Credo: Anbietern von Wasser- und Abwassertechnologien bietet sich ein enormes Marktpotenzial!
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PROCESS: Herr Heymann, Sie schätzen den jährlichen Investitionsbedarf der globalen Wasserwirtschaft auf bis zu 500 Milliarden Euro. Wie belastbar ist diese Zahl?
Heymann: Das ist natürlich eine grobe Schätzung, es gibt nur für relativ wenige Länder verlässliche Zahlen zum Investitionsbedarf. Darauf aufbauend haben wir den weltweiten Bedarf hochgerechnet. Der Vergleich mit anderen Veröffentlichungen zeigt, dass wir damit nicht schlecht liegen: Der VDMA beziffert das Marktvolumen im gesamten Wassermarkt auf jährlich bis zu 480 Milliarden US-Dollar. Die OECD schätzt, dass sich die jährlichen laufenden und investiven Ausgaben für die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung in den OECD-Staaten auf etwa 600 Milliarden US-Dollar belaufen. Die Botschaft ist: Anbietern von Wasser- und Abwassertechnologien bietet sich international ein enormes Marktpotenzial! Aber zur Verdeutlichung: Das sind Investitionsbedarfe und Potenziale, investiert wird ja in der Tat derzeit viel weniger.
PROCESS: Was treibt die Nachfrage nach Wassertechnologien?
Heymann: Die Wasserverfügbarkeit ist ein wichtiger Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes. Neben der Landwirtschaft zählt die Lebensmittel- und Getränke-Industrie zu den Wirtschaftszweigen, die viel und qualitativ hochwertiges Wasser benötigen. Industrialisierung ist nur mit der Verfügbarkeit von Wasser möglich. Immer steht aber die Frage der Zahlungsbereitschaft und -fähigkeit im Mittelpunkt. Wo Wasser sozusagen nichts kostet, ist das Interesse an wassersparenden Technologien – auch wenn sie noch so notwendig erscheinen – eher gering. Man sollte bei der Auswahl attraktiver Märkte also neben der Verfügbarkeit von Wasser auch auf Preissignale oder staatliche Regulierungen achten!
PROCESS: Für welche Produkte und Technologien sehen Sie international besonders hohe Vermarktungschancen?
Heymann: Es ist ein breites Spektrum von Technologien. In Ländern, wo die Infrastruktur für die Wasserversorgung beziehungsweise Abwasserentsorgung erst aufgebaut wird, geht es um die Grundausrüstung – also z.B. Pumpen, Rohrleitungen, Armaturen. Jährlich müssen mehrere Millionen Menschen neu an die öffentliche Wasserversorgung und Abwasserentsorgung angeschlossen werden; bis 2050 wächst die urbane Bevölkerung in Entwicklungs- und Schwellenländern um mehr als 2,5 Milliarden Menschen. Hier ist zumeist nicht die Hightech-Lösung gefragt, sondern eher die robuste Technik. Sind die Standards bereits höher, sind Trinkwasseraufbereitungsanlagen und auch Kläranlagen gefragt. Ist Wasser sehr knapp und verfügen die Länder über Kapital, ordern sie Meerwasserentsalzungsanlagen. Überall gewinnen Technologien an Bedeutung, die es erlauben, das verfügbare Wasser effizienter oder gar mehrmals zu nutzen. Investitionsbedarf sehen wir vor allem auch bei effizienteren Bewässerungstechnologien. Denn bei den traditionellen – und häufig veralteten – Verfahren gehen teilweise mehr als 50 % des Wassers verloren. Zudem tragen manche Bewässerungstechnologien langfristig zum Versalzen der Böden bei, was die Ertragskraft der Anbauflächen schmälert.
Wie Eric Heymann die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Anbieter einschätzt, lesen Sie auf der nächsten Seite.
PROCESS: Wie schätzen Sie die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Anbieter ein?
Heymann: Auf der Technologieseite sind die deutschen Anbieter sicher top. Bei Meerwasserentsalzungs- und Kläranlagen, technischen Ausrüstungen (z.B. Pumpen, Kompressoren, Armaturen), Filteranlagen oder Desinfektionsverfahren (z.B. Ozonung oder Einsatz von UV-Licht) sowie effizienten sanitären Einrichtungen zählen deutsche Unternehmen zur Weltspitze. Das gilt auch in der Wertschöpfungskette vor- oder nachgelagerter Bereiche wie der Tief- und Rohrleitungsbau oder die Bereitstellung von Wasserzählern und Abrechnungssystemen. Bei integrierten Lösungen sieht das anders aus. Fordert eine Kommune z.B. in Südamerika, dass ein Anbieter die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung komplett zu übernehmen hat, sind deutsche Anbieter darauf noch nicht gut vorbereitet. Das liegt an den kleinteiligen Strukturen der deutschen Anbieter. Aber mit Initiativen wie dem Netzwerk ‚German Water Partnership‘ versuchen die deutschen Anbieter, dieses Manko auszugleichen.
PROCESS: In welchen Ländern sollten sich deutsche Anbieter bevorzugt engagieren – und warum?
Heymann: Die attraktivsten Länder für deutsche Anbieter sind sicher jene, wo Wasserknappheit herrscht und das Land aufgrund der Verfügbarkeit von Rohstoffen wie Öl oder Gas reich ist, man sich Hochtechnologie also leisten kann. Dort sind nach Installation der Technik auch die Services der deutschen Anbieter gefragt. Interessant sind auch solche Länder, wo zwar der Wasserpreis aus politischen Gründen niedrig ist, aber die Energie teuer ist. Dort sind dann in den staatlichen Wasserwerken beispielsweise Technologien zur Gewinnung von Energie aus Abwasser gefragt oder auch energieeffiziente Pumpen zur Verteilung des Trinkwassers. In unserer Studie über die Perspektiven der Weltwassermärkte haben wir 2010 mit einem Scoring-Modell die Attraktivität von 78 Ländern basierend auf elf Kriterien beurteilt. 2011 haben wir das Modell aktualisiert und ein neues Kriterium (Bedeutung der Bewässerungslandwirtschaft) in die Beurteilung aufgenommen. Im Ergebnis befinden sich unter den am besten platzierten Staaten viele Länder aus dem Mittleren Osten. Diese Länder haben ein Wasserproblem und gleichzeitig die Finanzmittel, diese Probleme zu bekämpfen. Ferner zählen die bevölkerungsreichsten Länder der Erde, China und Indien, sowie mit Deutschland und den USA auch zwei große Industrienationen zu den attraktivsten Märkten.
PROCESS: Herr Heymann, vielen Dank für das Gespräch.
* Das Interview führte Dipl.-Ing. Hans-Jürgen Bittermann, freier Mitarbeiter bei PROCESS.
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