CCU im Plasma-Reaktor Du lebst nur zweimal: So wird CO2 zum wertvollen Rohstoff
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Aus Abgas wird Plasma, wird Rohstoff: Das ist die Vision, mit der ein Entwicklerteam am Likat an einer ganz neuen Form der Schornstein-Chemie forscht. Schafft der Plasma-Reaktor endlich eine Möglichkeit der stofflichen Nutzung von klimaschädlichem CO2? Erste Versuche sind vielversprechend…

Zapp! Wenn im Gruselfilm ein geheimnisvoller Dr. Frankenstein eigentlich totes Material zu neuem Leben erwecken will, darf ein ordentlicher Stromschlag nicht fehlen. Beim Spezialchemiekonzern Evonik setzt man Plasma unter Strom, um das „tote“ CO2 wiederzubeleben. Auf diese Weise soll aus Abgas wieder Chemie werden, hoffen die Entwickler. Das Mittel zum Zweck: Ein spezieller Plasma-Reaktor am Likat, dem Leibniz-Instituts für Katalyse.
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CO2 als Rohstoff
Chemie aus dem Schornstein: Kommt jetzt die stoffliche Nutzung von CO2?
Plasma, also ionisiertes Gas, das klingt nach Warp-Antrieb und Raumschiff Enterprise. Der „vierte Aggregatszustand“ ist aber nicht nur für das Leuchten der Polarlichter oder von Gewitterblitzen verantwortlich, sondern wird auch etwa zum Plasmaschweißen oder Löten eingesetzt. Oder eben im Reaktor: Hier wird gasförmiges CO2 quasi „unter Strom“ gesetzt, wodurch Elektronen aus den Gasmolekülen „gerissen“ werden. Diese freien Elektronen, ionisierten Moleküle und Molekülbruchstücke geben ein hochreaktives Gemisch – und machen sollen das eigentlich notorisch reaktionsträge Kohlendioxid gehörig auf Trab bringen.
Natürlich ließe sich CO2 auch thermisch spalten – doch wären dafür hohe Temperaturen von 3. 000 bis 4. 000 ° C nötig. Im Plasma-Reaktor reichen schon rund hundert Grad und – zumindest im Labormaßstab – bescheidene 40 Watt elektrischen Stroms, um aus Abgas reaktives Plasma zu machen, erklären die Forscherinnen und Forscher. Und dann?
Dann geschieht der eigentliche Clou: Dank der Reaktion mit Wasserstoff im Plasma kann das ionisierte CO2 zu Kohlenmonoxid reagieren – und das ist ein wesentlicher Bestandteil des sogenannten Synthesegases (eine Mischung aus Wasserstoff, Kohlendioxid und Kohlenmonoxid). Aus „Syngas“, wie der Grundstoff auch genannt wird, wurden schon in den Anfangszeiten Chemieindustrie dank Kohlevergasung alle Arten von höherwertigen Kohlenwasserstoffen hergestellt. Aus CO2, einem toten Abgas und Klimaschädling, würde also ein zentraler Baustein für die organische Chemie.
„Wenn es uns gelingt, Kohlendioxid als Rohstoff zu erschließen, würden wir nicht nur einen erheblichen Beitrag zur Verminderung des CO2-Fußabdrucks leisten, sondern wir würden uns auch eine völlig neue Art der Chemie zunutze machen“, sagt Professor Dr. Robert Franke, Leiter der Hydroformylierungsforschung bei Evonik Performance Intermediates und Koordinator des Projekts Plas-CO2.
Aus CO2 könnten wieder Chemikalien, Farben und Kraftstoffe werden
PlasCO2, kurz für "Plasmainduzierte Generierung von Kohlenmonoxid aus Kohlendioxid und dessen chemische Verwertung" nennt der Essener Spezialchemiekonzern das Projekt mit dem Ziel, Kohlendioxid (CO2) als Rohstoff für die Produktion von C4-Chemikalien zu erschließen.
Denn das in der Hydroformylierung eingesetzte CO kommt bisher in aller Regel aus Erdgas, auf jeden Fall aber aus fossilen Rohstoffen. Gleichzeitig entstehen in großen Industriestandorten wie Stahlwerken, Zementfabriken oder natürlich auch der Chemie Millionen Tonnen an CO2 als Abgase, die in der Atmosphäre den Klimawandel beschleunigen. Indem die Forscher also CO2 statt Kohle, Gas oder Öl als Rohstoff nutzen, können nicht nur Ressourcen gespart werden – der Klimaschädling Kohlendioxid bekäme so wie seinerzeit James Bond in „du lebst nur zweimal“ ein neues, zweites Leben als Weichmacher, Klebstoff oder Schmiermittel.
Und nicht nur das: In Zukunft, glauben die Projektverantwortlichen, könnten dank der Plasmareaktoren auch ganz andere Reaktionen, etwa zu Ethylenglykol oder mittels oxidativer Kupplung, möglich werden. Auch ließe sich ein Plasma-Reaktor im Gegensatz zu etwa großen Hydrocrackern schnell an- und abfahren – eine Produktion „on demand“ rückt damit in greifbare Nähe glaubt das Entwicklerteam.
Für diese Vision macht Evonik mit einer Reihe Partnern von der Katalyse über die Plasmaforschung bis hin zum Anlagenbau gemeinsame Sache, darunter das Leibniz Institut für Katalyse (Likat), das Leibniz Institut für Plasmaforschung (INP) und die Rafflenbeul Anlagen Bau. Auch der Bund unterstützt durch das BMBF mit rund 1,8 Millionen Euro die Forschung zum Abgas-Frankenstein.
Gemeinsam zur Schornstein-Chemie: Partner für Plasma-Reaktion
„Für die Durchführung dieser Projekte der anwendungsorientierten Grundlagenforschung brauchen wir bei Evonik unbedingt die Kompetenzen unserer Partner an den Forschungsinstituten und bei anderen Firmen“, meint dementsprechend Dr. Marc Oliver Kristen, Projekt-Manager des Projekts Plas-CO2. „Auch die Förderung durch das BMBF ist essenziell, um solche hoch innovativen Ansätze verfolgen zu können.“
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Die Tatsache, dass Kohlenmonoxid im Plasma entstehen und Synthesegas bilden könnte, ist übrigens nichts grundlegend Neues – diese Erkenntnisse wurden allerdings bisher nie wirtschaftlich angewendet, da in Form fossiler Rohstoffe große Mengen Kohlenstoff vergleichsweise einfach verfügbar waren. Jetzt – im Zuge von Defossilierungsdebatten und dem wieder erwachten Interesse an CCU- und CCS-Lösungen ist auch die Verfahrenstechnik im Plasma-Reaktor wieder topaktuell. Auch Themen, Debatten und Technologien haben eben manchmal zwei Leben.
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