Pharmabranche am Scheideweg Die Pharmabranche muss sich neu erfinden

Autor / Redakteur: Gert Moelgaard / Anke Geipel-Kern

Die Pharmabranche hat ein hartes Jahr hinter sich, denn die Zahl der ausgelaufenen Patente erreichte 2012 ihren vorläufigen Höhepunkt. Wie positionieren sich die Unternehmen zwischen Generikamärkten, Emerging Markets und auslaufenden Patenten? Antworten gibt Gert Moelgaard, Vice President, Strategic Development der NNE Pharmaplan.

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Gert Moelgaard, Vice Präsident Strategy NNE Pharmaplan
Gert Moelgaard, Vice Präsident Strategy NNE Pharmaplan
(Bild: NNE Pharmaplan)

Pricewaterhouse Coopers (PWC) veröffentlichte im November 2012 im Rahmen der Serie „Pharma 2020“ einen Report mit dem Titel „Pharma 2020 – From Vision to Decision“, die folgendes aussagt: „Pharma’s future has never looked more promising – or more ominous. Major scientific, technological and socioeconomic changes will revive the industry’s fortunes in another decade, but capitalising on these trends will entail making crucial decisions first.“

Dieses Statement trifft den Ausblick in die Zukunft sehr genau. Das Jahr 2012 war vermutlich das härteste Jahr hinsichtlich der Anzahl der ausgelaufenen Patente und zwang pharmazeutische Hersteller zu einer der folgenden Entscheidungen: entweder Kosten einsparen und rationalisieren oder in Innovationen investieren. Beide Wege sind möglich, haben jedoch sehr unterschiedliche Auswirkungen für das gesamte Geschäftsfeld zur Folge.

In dieser sich rasch verändernden Welt wird es für pharmazeutische Unternehmen sehr wichtig sein, die richtigen Geschäftspartner und Zulieferer auszuwählen und langfristig vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen. Gerade weil sich die Rahmenbedingungen in der pharmazeutischen Industrie heute deutlich schneller ändern als jemals zuvor, bleibt keine Zeit für die Suche nach immer neuen Partnern.

Stabiles Fundament

Die pharmazeutische Industrie ist – in der Vergangenheit wie auch heute – eine grundlegend solide Industrie. Die globalen Umsätze im Jahr 2011 wurden auf rund 955 Mrd. Dollar geschätzt (1981 hingegen waren es rund 70 Mrd. Dollar). Obwohl die Jahreswachstumsrate leicht zurückgeht, betrug die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate des Gesamtmarktes in den letzten 30 Jahren rund 9 % und es wird erwartet, dass der Gesamtmarkt bis 2016 weiter ansteigen wird.

Deshalb stehen Krebs, Diabetes und Alzheimer im Fokus der Wirkstoffentwicklung.

Deshalb stehen Krebs, Diabetes und Alzheimer im Fokus der Wirkstoffentwicklung

Bis hin zum Jahre 2016 wird der Hauptfokus auf Medikamenten zur Behandlung von Krebs und krebsartigen Krankheiten, Diabetes und Antibiotika liegen. Außerdem wird es innerhalb der nächsten Jahre einige neue Medikamente zur Behandlung von Krankheiten wie Alzheimer, Autoimmunkrankheiten, Diabetes sowie verschiedener Krebsarten geben, die bisher nur unzureichend behandelt werden können, sowie Medikamente zur Behandlung von seltenen Krankheiten, sogenannte Orphan Drugs. Für die Top-20-Therapien werden momentan rund 42 % der Gesamtausgaben für Medikamente aufgewendet.

Da auch in den kommenden Jahren einige bedeutende Patente auslaufen, werden viele Unternehmen mit signifikanten Herausforderungen für ihr zukünftiges Geschäft konfrontiert und müssen Entscheidungen über Inves-titionen, Märkte, Standorte, Produkte und Technologien treffen. Diese werden erheblich von den Entscheidungen vor dem Ablauf der Patente abweichen. Vor einigen Jahren sank die Zahl der neuen Medikamentenzulassungen, aber in den letzten Jahren ließ sich in Europa und auch in den USA ein neues Wachstum erkennen, das den Optimismus wieder steigerte. Außerdem erlebten einige Produkte nach dem Auslaufen ihres Patentes ein Revival als Generikaprodukt und ersetzten kostengünstig ältere oder weniger effektive Medikamente. Der Boom dieser neuen Generika wurde aufgrund wachsender Behördenanforderungen und einer Politik, die eine Erstattung des kosteneffektivsten Medikaments unterstützt, gefördert. Es wird erwartet, dass sich dieser Druck in Zukunft fortsetzen wird.

Bisher sind jedoch fast nur generische „small molecule“ OSD-Produkte betroffen. Im Bereich Biotechprodukte und Injectables wird gerade erst begonnen, diese durch Biosimilars zu ersetzen. Jedoch werden die OSD-Produkte gemessen am Volumen die größte pharmazeutische Produktkategorie bleiben, das stärkste Wachstum gemessen am Wert verzeichnen hingegen „large molecule injectable“ Produkte.

Kurz gesagt, werden wir wohl in der pharmazeutischen Industrie mit neuen Rahmenbedingungen konfrontiert werden, die in Zukunft eine „neue normale“ Situation darstellen werden. In den folgenden Abschnitten werden einige Auswirkungen erläutert.

Warum sind manche Pharmaunternehmen erfolgreich und andere nicht?

Einige Firmen haben seit vielen Jahren ein diversifiziertes Geschäftsfeld aufgebaut. Später sind die meisten großen Pharmaunternehmen dieser Strategie gefolgt, um so unterschiedliche Bereiche und verschiedene technologische Ansätze abzudecken. Dank dieser diversifizierten Investitionsstrategie und eines starken F&E-Portfolios sind Firmen, die frühzeitig diesen Wandel erkannt haben, sehr gut auf die Auswirkungen des Patentablaufes vorbereitet.

Als Lieferant und Partner für die Pharmaindustrie ist es wichtig, dieser neuen Strategie zu folgen, da viele Pharmaunternehmen zukünftig einen breit aufgestellten, kompetenten Partner wünschen, der in allen Bereichen ihres eigenen diversifizierten Geschäftsfeldes unterstützen kann.

Dies wird besonders deutlich, wenn man einige der derzeit innovativsten Pharmaunternehmen betrachtet, die ihr Know-how in der Herstellung von Medikamenten mit anderen Kompetenzen, wie Diagnostika oder Medtech-Produkte zur Verabreichung von Medikamenten, kombinieren.

Es ist z.B. ein Unternehmen zu nennen, das als erstes begonnen hat, Insulin als Teil eines Verabreichungssystems – einem Injektionspen – zu verkaufen. Mithilfe dieses Verabreichungssytems können Diabetes-Patienten sich selbst auf einfache Weise das Medikament verabreichen, was seit Jahren ein signifikantes Unterscheidungsmerkmal darstellt.

Ein anderes Beispiel ist ein Unternehmen, das seit vielen Jahren Medikamente mit Diagnostika – auch zur Selbstmedikation – kombiniert und jetzt eine führende Position in diesem Bereich in Richtung einer „personalisierten Medizin“ erreicht hat.

Beide Unternehmen verbinden Medikamente mit Medtech (Devices, Diagnostik, etc.) und immer mehr Unternehmen folgen diesem Weg. Daher wächst die Medtech-Industrie momentan schneller als die Pharmaindustrie.

Warum sind manche Pharmaunternehmen erfolgreich und andere nicht?

IMS Health, der führende Anbieter von Statistiken im Bereich der globalen pharmazeutischen Industrie, schätzt, dass das stärkste Wachstum in der Pharmaindustrie nicht mehr länger in der westlichen Welt, sondern in den Emerging Markets, vor allem in China, stattfindet. Von 2011 bis 2016 wird in den Emerging Markets ein Bevölkerungswachstum um 494 Mio. Menschen und ein Ausgabenwachstum für Medikamente in Höhe von 150 bis 165 Mrd. Dollar erwartet.

Tatsächlich werden die USA nach wie vor der größte Pharmamarkt bleiben – fast dreimal so groß wie der chinesische Markt. Aber Brasilien, Indien und Russland werden bis 2016 einige der traditionellen Pharmamärkte überholen. Allerdings unterscheiden sich die Pharmamärkte in der westlichen Welt erheblich von denen in den Emerging Markets. Im Westen sind die Preise für Medikamente erheblich höher und die produzierten Mengen deutlich größer als in den Emerging Markets. Außerdem werden neue Produkte zunächst in den Industriestaaten herausgebracht, wo hingegen in den Emerging Markets hauptsächlich traditionelle Medikamente produziert werden.

Dennoch haben einige Unternehmen in Indien und China nach dem Ablauf der Patente von Biotechprodukten begonnen, Generika – sogenannte Biosimilars – nur für die Emerging Markets zu entwickeln. Dadurch betragen die Kosten für die Entwicklung und Herstellung der Produkte lediglich ein Zehntel der Kosten von Biosimilars im Vergleich zur westlichen Welt.

Pharmazeutische Unternehmen, die über eine Expansion in den Emerging Markets nachdenken, benötigen in diesen Ländern einen Partner mit starker lokaler Präsenz. Nur wenige der internationalen Dienstleistungsanbieter in der Pharmaindustrie haben bereits eine solche starke Präsenz in Emerging Markets-Ländern wie China, Indien, Brasilien. Für den lokalen Erfolg und zur Reduzierung von Investitionsrisiken ist dies ein entscheidendes Auswahlkriterium für den richtigen Partner.

„Facility of the Future“

Beratungsunternehmen wie McKinsey argumentieren, dass Pharmaunternehmen endlich aufwachen und ihre veralteten Produktionsansätze überdenken sollen. In ihrem Bericht „Plantopia“ von 2012 führen sie an, dass die Pharmaindustrie weit hinter anderen Industrien liege und sich dringend der neuen Herausforderung stellen müsse, ihre Anlagen in naher Zukunft zu modernisieren.

Innerhalb der Organisation ISPE (International Society of Pharmaceutical Engineering) gibt es ein Forum, das International Leadership Forum (ILF), in dem sich Senior Manager aus den Bereichen Operations, Qualität, Entwicklung und Engineering zweimal jährlich gemeinsam mit führenden Behörden aus den USA, Europa und anderen Ländern treffen. Das ILF hat eine Arbeitsgruppe etabliert, die eine „GPS – Global Positioning Strategy“ schaffen soll. Diese Strategie beschäftigt sich mit der Zukunft der pharmazeutischen Herstellung und formuliert interessante Anforderungen an die Zukunft der pharmazeutischen Technologien und Anlagen.

Viele Pharmaunternehmen haben die gleichen Ambitionen. Nach zehn recht ruhigen Jahren besteht nun ein starkes Interesse an Konzepten für eine „Facility of the Future.“ Einige dieser Firmen haben Projekte gestartet, mit dem Ziel flexiblere, kleinere und benutzerfreundlichere Anlagen der nächsten Generation zu schaffen, um ihre traditionellen Anlagen zu ersetzen oder zu ergänzen. Bei rechtzeitiger Umsetzung sind nicht unbedingt hohe Investitionen erforderlich. Pharmaunternehmen sollten deshalb früh einen Partner auswählen, der mit modernen Herstellungskonzepten vertraut ist und über über die nötigen Erfahrungen verfügt.

Der Report „Pharma 2020 – From vision to decision“ fasst ihre Analyse der pharmazeutischen Industrie für die nächsten Jahre so zusammen: „The next few years may look bleak for pharma, but we’re convinced that the following decade will bring a golden era of renewed productivity and prosperity.“ Für die Branche bedeutet das: Herausforderung und Chance zugleich. ●

Quellen:

[1] European Pharmaceuticals, August 2012, Deutsche Bank Markets Research

[2] The Global Use of Medicine: Outlook Through 2016, July 2012, IMS Institute for Healthcare Informatics

[3] Pharma 2020 – From vision to decision, Nov. 2012, Pricewaterhouse Coopers

* Vice President, Strategic Development NNE Pharmaplan, Dänemark.

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