Baubeginn für elektrischen Steamcracker Der Cracker mit dem Stecker: Erster Elektrischer Steamcracker soll 2023 ans Netz

Von Dominik Stephan |

Anbieter zum Thema

Das Schlagwort ‚Electrify the Industry‘ ist in aller Munde – doch an die richtig großen Energiefresser wie Stahl, Zement oder die Grundstoffchemie traut sich kaum jemand heran. Kann etwa ein Steamcracker überhaupt ‚elektrisch‘ werden? Die BASF jedenfalls will der Basischemie mit Stromanschluss eine Chance geben.

Im Herzen der Chemie: Der Steamcracker in Ludwigshafen spaltet unter Zusatz von Wasserdampf bei etwa 850 Grad Celsius Rohbenzin auf. Dabei entstehen im wesentlichen Ethylen und Propylen, beides unverzichtbare Grundstoffe für die Herstellung vieler Produkte.
Im Herzen der Chemie: Der Steamcracker in Ludwigshafen spaltet unter Zusatz von Wasserdampf bei etwa 850 Grad Celsius Rohbenzin auf. Dabei entstehen im wesentlichen Ethylen und Propylen, beides unverzichtbare Grundstoffe für die Herstellung vieler Produkte.
(Bild: BASF SE)

Eine Vision nimmt Form an: In Ludwigshafen laufen die Bauarbeiten zu einem ganz besonderen Steamcracker an – das zumindest ist die Botschaft, mit der ein Kooperationsprojekt des Chemieriesen BASF, der saudi-arabischen Sabic und des Gasespezialisten Linde Anfang September den Baubeginn des ersten elektrisch betrieben Steamcrackers feierte. Damit, so die beteiligten Unternehmen, rückt die Vision einer fossilfreien Grundstoffchemie ein gutes Stück näher. Dabei wollen Sabic und die BASF ihre langjährigen Cracker-Erfahrungen einbringen während Linde – eigentlich ja ein Gasespezialist – bei Entwicklung und Bau der Öfen gefragt sein soll.

Die Operation setzt direkt im Herz der Chemieindustrie an: In Steamcrackern wird bei 800 ° C Naphtha in kurzkettige Kohlenwasserstoffe wie Methan, Ethen, Propen, Buten oder Pyrolysebenzin aufgebrochen, die die Basis für nahezu alle Produkte der organischen Chemie bilden. Doch der Energiebedarf für die Spaltung ist immens: Pro erzeugte Tonne Ethen etwa werden im Schnitt 11.470 MJ Energie benötigt, wobei fast 90 Prozent auf das Heizen der Öfen entfallen. Und die benötigen einen Stoff, der derzeit das große Sorgenkind von Politik, Wirtschaft und Bevölkerung ist: Erdgas. Kein Wunder, dass das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz im Rahmen des Förderprogramms „Dekarbonisierung in der Industrie“ satte 14,8 Millionen Euro Fördermittelspringen lässt.

Bildergalerie

„Die Mission von BASF ist Klimaneutralität und die Elektrifizierung des sehr energieintensiven Steamcrackers ist ein wichtiger Meilenstein auf unserer Transformationsreise hin zu Netto-Null-CO2-Emissionen“, erklärt Dr. Martin Brudermüller, Vorsitzender des Vorstands der BASF SE. Denn kaum eine Branche hängt so sehr an der Pipeline wie die Meister der Moleküle: „44 Prozent des Energieverbrauchs in der Chemischen Industrie entfallen auf Erdgas. Hinzu kommt, dass Erdgas eine wichtige Rolle bei der Produktherstellung spielt. Für rund 30 Prozent aller Chemieprodukte ist der Einsatz von Erdgas notwendig“, erklärt ifo-Branchenexpertin Anna Wolf. Kein Wunder, dass die Verfahrenstechnik sparen will, wo es nur geht. Reduzieren, substituieren, elektrifizieren sollen helfen, die Abhängigkeit zu verringern. Viel mehr als das ist aber auch in der Kürze der Zeit und angesichts der enormen Investitionen realistischerweise nicht zu erwarten.

Das sind die Größten: Deutschlands Top-10-Verbundstandorte und Chemieparks

Die größten Chemieparks: Deutschlands Top-10-Verbundstandorte
Bildergalerie mit 13 Bildern

Oder? Das Cracker-Projekt in Ludwigshafen scheint in eine andere Richtung zu zeigen. Groß denken und im Produktionsmaßstab bauen statt Energiespartipps und Laborversuche. Das ist auch nötig, denn gerade der Sprung vom Labor in die industrielle Anwendung sorgt in der Petrochemie zuverlässig für Schluckbeschwerden.

Elektrischer Crackerofen ein erster Schritt zur E-Chemie

Außerdem, und das sollte nicht vergessen werden, ist das Projekt nicht ganz neu: Schon letztes Jahr kündigten die Ludwigshafener den E-Cracker mit einem erwarteten Produktionsstart im Jahr 2023 an (natürlich nicht ohne die endgültige Entscheidung von der Bewilligung entsprechender Fördermittel abhängig zu machen). Auch das Crackerprojekt selbst ist kein kompletter Neubau, sondern nutzt den kleineren der beiden Steamcracker am Standort, wobei „lediglich“ einer der Öfen elektrifiziert wird. Weitere könnten in Zukunft sukzessive folgen – und dann währen ja noch die großen Turbinen zu elektrifizieren. Viel ist zu tun – und bleibt zu tun – insbesondere, wenn man an den immensen Energiebedarf der Industrie denkt. So betont BASF-CEO Martin Brudermüller dass schon ein einzelner Ofen den „Stromoutput“ mehrerer Windkraftanlagen verschlingt. Kaum vorstellbar, dass die deutsche Energiewende diese zusätzlichen Verbräuche schon eingepreist hat.

Von den rund 30 TWh, die der BASF-Standort Ludwigshafen pro Jahr benötigt, entfällt lediglich ein Fünftel auf elektrische Energie.

Geht alles nach Plan könnte die Multi-Megawatt-Anlage bereits nächstes Jahr angefahren werden, wobei die BASF mit RWE an einen Offshore-Windpark in der deutschen Nordsee kooperiert. Damit wären die Ludwigshafener weit vor der Roadmap Chemie, die entsprechende Verfahren für 2050, das Schlüsseljahr der Energie und Rohstoffwende, vorsieht. Die Anlage ist so konzipiert, dass zwei Heizkonzepte parallel getestet werden können: Bei der direkten Beheizung wird elektrischer Strom direkt an die Rohre im Reaktor angelegt; die indirekte Beheizung nutzt die Strahlungswärme von Heizelementen, die um die Rohre angeordnet sind. Die Erprobung beider Konzepte wird es ermöglichen, flexibel auf unterschiedliche Kunden- und Standortanforderungen zu reagieren.

Konventionelle und elektrische Technologie im Vergleich.
Konventionelle und elektrische Technologie im Vergleich.
(Bild: BASF SE)

Bis zu 90 Prozent des enormen CO2-Ausstoßes (derzeit rund 700 Kilo CO2 pro erzeugter Tonne Ethen) ließen sich so perspektivisch vermeiden, sind sich die Chemieriesen sicher. „Unsere Vision ist es, unser Unternehmen zu verändern und durch effizientes CO2-Management zur Bewältigung dringender globaler Herausforderungen beizutragen. Dieses Projekt birgt enormes Potenzial für die gesamte petrochemische Industrie auf der ganzen Welt auf dem Weg hin zu kohlenstoffarmen Prozessen", meint Yousef Al-Benyan, stellvertretender Vorsitzender und CEO von Sabic. Linde geht dafür unter die Ofenbauer und hofft, in zwei Jahren eine E-Cracker-Technologie marktreif für Kunden in aller Welt zu haben – nicht unvernünftig in Anbetracht der Energiekosten in Deutschland.

Jetzt Newsletter abonnieren

Verpassen Sie nicht unsere besten Inhalte

Mit Klick auf „Newsletter abonnieren“ erkläre ich mich mit der Verarbeitung und Nutzung meiner Daten gemäß Einwilligungserklärung (bitte aufklappen für Details) einverstanden und akzeptiere die Nutzungsbedingungen. Weitere Informationen finde ich in unserer Datenschutzerklärung.

Aufklappen für Details zu Ihrer Einwilligung

DAS WASSERSTOFF-FORUM 2022

Das Wasserstoff-Forum vom 26. bis 27. September 2022 ist die Plattform für Wasserstofftechnologien und -lösungen aus der Perspektive der Industrie: Erzeugen, Transportieren, Speichern und Nutzen stehen im Mittelpunkt der praxisorientierten Vorträge und Workshops. Mit dabei: Best-Practices, konkrete Lösungen und technologische Entwicklungen, mit denen Sie sich schon heute für die Wasserstoff-Infrastruktur der Zukunft fit machen!

Jetzt Ticket sichern!

(ID:48556480)