Lebensmittelsicherheit Cronobacter: Die unterschätzte Gefahr bei der Milchpulverherstellung?
In den USA läuft eine großangelegte Rückrufaktion für Säuglingsnahrung, nachdem Babys an Infektionen mit dem Bakterium Cronobacter sakazakii gestorben sind. Die FDA untersucht die Vorfälle. Im Visier der Inspektoren: Ein Werk des Herstellers Abbott in Michigan. Wir haben recherchiert, wo bei der Milchpulverherstellung potenzielle Gefahrenquellen liegen.
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Seit 17. Februar untersucht die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA Beschwerden von Eltern, die vermuten, Babynahrung von Abbott sei an der Erkrankung ihrer Säuglinge schuld. Bei vier der Säuglinge hatten die Ärzte Chronobacter-Infektionen und bei einem Baby eine Salmonellenvergiftung diagnostiziert. Dem Bericht der FDA zufolge, mussten alle Babys im Krankenhaus behandelt werden, eins davon sei gestorben. FDA und CDC (Center for Control, Desease and Prevention) berichten, dass die kranken Babys Säuglingsnahrung erhalten haben, die im Werk von Abbott Nutrition in Sturgis in Michigan, hergestellt wurde. Abbott hat daraufhin Säuglingsnahrung der Marken Similac, Alimentum und Elecare, die in dem Werk in Sturgis, hergestellt werden zurückgerufen.
Jetzt ist ein weiteres Baby gestorben und Abbott hat eine Charge der Spezialnahrung Similac PM 60/40 zurückgerufen, die bisher nicht von der Rückrufaktion betroffen war. Nach Deutschland werden diese Marken nach Aussage der FDA nicht exportiert.
Kontaminationsquelle ist unklar
Wie die Keime in das Milchpulver gelangt sein könnten, scheint bisher unklar zu sein. Die FDA hat offenbar einige Unregelmäßigkeiten gefunden und schreibt von Schriftstücken, die belegen, dass „ Abbott Produkte vernichtet habe, die mit Cronobacter kontaminiert gewesen seien.“ Fest steht auch, dass die FDA-Verantwortlichen bei der Inspektion der Fabrik mehrere positive Cronobacter sakazakii-Befunde in Umweltproben fanden.
Letzteres räumt auch Abbott in einer Meldung ein. Man habe bei Tests in der Anlage in Bereichen, die nicht mit dem Produkt in Berührung kommen, Hinweise auf Cronobacter sakazakii, gefunden – ein Kontaminationsweg, der laut einer Untersuchung aus dem Jahr 2007 durchaus vorstellbar ist. Es sei jedoch keins der verkauften Markenprodukte positiv auf das Bakterium getestet worden und auch Rückstellmuster der zurückgerufenen Similac PM 60/40 -Charge sei keine Cronobacter-Verkeimung festzustellen gewesen.
Gefährliche Keime im Milchpulver
Chronobacter sakazakii ist ein seltener, aber gefährlicher Keim, der bei Neugeborenenen und Säuglingen Hirnhautentzündungen auslöst und den Darm schwer schädigt. Als Ursache gilt, laut WHO, kontaminierte Säuglingsnahrung, weshalb es seit den 2000-Jahren strenge Grenzwerte für Chronobakter im Milchpulver gibt. Aktuelle Daten, wieviel Säuglinge sich weltweit jährlich mit Chronobacter sakazakii infizieren, gibt es zur Zeit nicht.
Die WHOhat für die Zeit von 1961 bis 2008 eine Zahl von 120 Erkrankungen ermittelt. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein, da Routinelabors oft Probleme haben, den Keim zu differenzieren. Das unterstreicht auch eine 2017 durch die österreichische „AGES“ durchgeführte europaweite Studie. Um jedem Risiko aus dem Weg zu gehen, empfiehlt die WHO deshalb, Baby immer mit frisch aufgekochtem Wasser zuzubereiten und sofort nach dem Abkühlen zu füttern.
Trotz zahlreicher Untersuchungen haben Wissenschaftler das eigentliche Reservoir der Cronobacter Bakterien nicht herausgefunden. Immerhin weiß man, dass die Keime den Darm von Menschen und Tieren besiedeln, also auch den von Kühen und so beim Melken in die Milch gelangen können.
Kritische Verfahrensschritte
Milchpulver wird durch Sprühtrocknung, manchmal auch durch Walzentrocknung pasteurisierter Milch hergestellt und dann in mehreren weiteren Verfahrensschritten zur Babynahrung aufgewertet. Die Gefahr kontaminierte Rohstoffe einzusetzen ist durch die vorherige Pasteurisierung eher gering, allerdings besteht durchaus die Gefahr, das beim Mischen und Verpacken erneut Keime in das Milchpulver gelangen. Milchpulver sei kein keimfreies Produkt, schreibt der Verband der deutschen Milchwirtschaft in einem 2016 erschienenen Factsheet.
Auch wenn das Hygieneniveau in den Milchtrocknungsbetrieben hoch ist – kritische Punkte gibt es während der Herstellung einige. In ihrer Promotionsarbeit hat die Vetrinärmedizinerin Cécile Jacobs einen Betrieb genau unter die Lupe genommen. Sie hat mehrere Verfahrensschritte gefunden, die zur Achillesfersen im Prozess werden können. Hier einige Beispiele:
- Keimnester können sich z.B. in den Rücklaufsystemen des Plattenerhitzers bilden, die zur Pasteurisierung eingesetzt werden.
- Auch der Eindampfer bietet Mikroorganismen gute Vermehrungsbedingungen ebenso wie die Zwischenlagerung des Konzentrats in Ausgleichstanks vor der Trocknung.
- Die Sprühtrocknung im Trockenturm ist heute das am meisten genutzte Trockenverfahren. Schadhafte Mannlochdichtungen, undichte Filterröhren, lange Standzeiten der Textilfilter und das rückgeführte Filterpulver bergen, laut Jacobs, erhebliche Verkeimungsrisiken.
- Das gleiche gilt für den Trockenturm selbst, wo sich in Ermüdungsrissen in der Isolierung und Ablagerungen Keimnester bilden könnten.
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