Großanlagenbau Boom im Großanlagenbau hält an

Redakteur: Gerd Kielburger

Mit glänzenden Zahlen präsentiert sich derzeit der deutsche Großanlagenbau. Mit einem Auftragseingang von 32,4 Milliarden Euro erzielten die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau 2007 das höchste Bestellvolumen der Verbandsgeschichte. Zugleich blickt die Branche optimistisch in die Zukunft.

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Die deutschen Großanlagenbauer haben allen Grund zum Feiern. Noch nie war der Auftragseingang so hoch wie im vergangenen Geschäftsjahr. In Relation zum Vorjahr (2006: 26,3 Milliarden Euro) lag der Zuwachs bei 23 Prozent. Seit Beginn des Aufschwungs im Jahr 2003 hat sich das nominale Bestellvolumen nach den neuesten VDMA-Zahlen sogar mehr als verdoppelt. Mit einem Plus von 65 Prozent legten die Bestellungen sogar im Chemieanlagenbau zu. Branchenkenner schätzen den Anteil der deutschen Großanlagenbauer am Weltmarkt auf etwa 20 Prozent (VDMA-Schätzung aus dem Jahr 2006).

„Getragen wurde die positive Entwicklung durch die sehr lebhafte Auslandsnachfrage, die mit 26,8 Milliarden Euro (2006: 20,4 Milliarden Euro) einen Rekordwert erreichte“, teilte Dieter Rosenthal, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau im VDMA (kurz AGAB) mit. Die Exportquote lag demnach bei 83 Prozent. Die Industrieländer waren mit Bestellungen von 8,9 Milliarden Euro die wichtigste ausländische Kundengruppe. Hohe Ordereingänge kamen auch aus der Asien-Pazifik-Region, dem Nahen und Mittleren Osten, der GUS und Südasien mit Indien als Zentrum.

Alleiniger Wermutstropfen sei das Inlandgeschäft, so Rosenthal. Hier habe sich die in den beiden Vorjahren zu beobachtende Aufwärtsbewegung in 2007 nicht fortgesetzt. Die Bestellungen seien mit 5,6 Milliarden Euro um sechs Prozent unter den Wert von 2006 gesunken. Als Hauptgrund für diesen Rückgang sieht man im VDMA das spürbare Nachlassen der Kraftwerksnachfrage, obwohl der Ersatzbedarf des Kraftwerksmarktes in Deutschland sehr hoch sei. Hier scheinen die Betreiber die Effizienzverbesserungen ihrer Anlagen noch etwas vor sich herzuschieben. Insgesamt beurteilt Rosenthal die Zukunftsaussichten für seine Branche allerdings sehr positiv. Entgegen früheren Phasen, erkenne man mittlerweile keine richtigen Zyklen mehr. Das gelte für alle Regionen und Produkte weltweit.

Beschäftigungsaufbau geht auch in Deutschland weiter

Die positive Geschäftslage führe auch zu einem weiteren Beschäftigungsaufbau in der Branche. „Zum 31. Dezember arbeiteten knapp 55 000 Mitarbeiter in den deutschen Stammhäusern. Das entspricht einem Zuwachs um fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr“, erklärte der AGAB-Sprecher. Mit Zeit- und Leiharbeitern beschäftige die Branche sogar mehr als 60 000 Mitarbeiter, davon 38 Prozent mit ingenieurwissenschaftlicher Ausbildung. Dieser extrem hohe Anteil sei darauf zurückzuführen, dass die Unternehmen sich mittlerweile auf die Kernkompetenzen zurückgezogen hätten: die Entwicklung, Planung und Umsetzung komplexer Industrieanlagen.

Was treibt die Entwicklung? Die sehr gute Auftragsentwicklung im Großanlagenbau ist offensichtlich auf das parallele Auftreten mehrerer Nachfrageimpulse zurückzuführen. Einerseits förderte die günstige Weltkonjunktur die Bereitstellung von Investitionsmitteln auf Kundenseite mit der Folge, dass umfangreiche Industrialisierungsprozesse in Rohstoffländern sowie auf großen Abnehmermärkten für Grundstoffe ausgelöst wurden. Andererseits sei der weltweite Ausbau der regenerativen Energieerzeugung infolge der zunehmenden Knappheit fossiler Energieträger als großer Nachfragefaktor spürbar.

Große Kraft entfalteten auch die Märkte in China, Indien und Russland. Werner Schwarzmeier, Sprecher der Geschäftsführung der Linde AG im Bereich Engineering präzisiert: Die Entwicklung Chinas habe nun auch Indien erreicht. Eine sehr junge und konsumorientierte Bevölkerung in einem immer größer werdenden Mittelstand sei als Treiber der positiven Entwicklung auszumachen. Die Bedürfnisse der Bevölkerung nach Konsumprodukten steigen. Gleichzeitig hat Indien durch langfristig ausgelegte Verträge eine solide Basis für sein Rohstoffnetz aufgebaut.

Überhitzungstendenzen im Nahen und Mittleren Osten?

Dennoch ist China der mit Abstand bedeutendste Abnehmer für deutsche Großanlagenbauer. Betrachte man die Auftragssituation aus China in den vergangenen zehn Jahren, dann habe die Volksrepublik deutsche Großanlagen im Wert von 15 Milliarden Euro gekauft. „Das ist mehr, als die derzeit ebenfalls stark wachsenden Länder Indien, Russland, Brasilien, Türkei und Mexiko zusammengenommen“, betonte der AGAB-Sprecher.

Konjunkturelle Überhitzungstendenzen macht der VDMA mittlerweile dagegen in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens aus, die in 2007 mit einem Ordervolumen von 3,5 Milliarden Euro für den deutschen Großanlagenbau an dritter Stelle kommen. In vielen Golfstaaten sei der Arbeitsmarkt für qualifiziertes Personal leergefegt. „Es fehlt in erster Linie an Ingenieuren sowie an erfahrenem Baustellenpersonal“, so Rosenthal. Zudem seien die Preise für Bauland in eineigen Ländern der Region regelrecht explodiert. Infolgedessen seien bereits erste Großvorhaben auf Eis gelegt worden. Um die Dimension zu verdeutlichen, ergänzte Linde-Sprecher Schwarzmeier: „ Allein in Qatar arbeiten derzeit rund 40 000 Mitarbeiter an einer Großbaustelle.“ Dennoch bleibt diese Region für die deutschen Großanlagenbauer ein interessanter Markt. Im VDMA deutet man die aktuelle Entwicklung daher auch nicht als beginnenden Abschwung, sondern als kurzzeitige Atempause.

Projektlaufzeiten haben sich kaum verlängert

Als positive Leistung stellt der Verband vor allem die trotz außerordentlich hoher Auslastung der Unternehmen nur wenig gestiegenen Projektlaufzeiten heraus. Den größten Teil des Auftragswachstums habe der Großanlagenbau über Auslagerungen, Mehrarbeit und Produktivitätsfortschritte abgefangen. Ein Teilnehmer der AGAB äußerte sich am Rande der Pressekonferenz gegenüber PROCESS dahingehend, dass man auch nicht mehr in der Lage wäre, zusätzliche signifikante Projekte bei den derzeitigen Rahmenbedingungen vernünftig abarbeiten zu können. Stellt sich die Frage, wie man weiteres Wachstum verkraften kann bzw. wie die Rahmenbedingungen dafür verändert werden müssen?

Handlungsbedarf bei Exportkreditversicherungen

Die ausgesprochen positive Geschäftslage hat auch die Ergebnissituation im Großanlagenbau weiter verbessert. Insgesamt spiegeln nach Branchenkennern die derzeit erreichten und zu erwartenden Erträge die Leistungsgüte der deutschen Anbieter und die typischen Risiken des Großanlagengeschäfts deutlich angemessener wider als in der Vergangenheit. Dennoch: Trotz seiner wirtschaftlichen Erfolge im Ausland sieht der Großanlagenbau wirtschaftspolitischen Handlungsbedarf in Deutschland und der OECD. Dies gelte insbesondere in den für diese Branche wichtigen Politikbereichen Exportkreditversicherung und Arbeitsmarkt.

Handlungsbedarf auch bei Umweltleitlinien

Ein weiteres Handlungsfeld sieht der Verband in der praktikablen und OECD-weit verbindlichen Anwendung der Umweltleitlinien. Insbesondere dürften bei den Reformbestrebungen die wettbewerbsverzerrenden Deckungspolitiken von nicht an den OECD-Konsensus gebundenen Konkurrenzländern wie China nicht aus den Augen verloren werden, so Rosenthal. Hintergrund: Der Weltmarkteintritt chinesischer Wettbewerber, die sog. Chinesischen Designinstitute, hat sich fortgesetzt. Allerdings scheinen die immer wieder ins Feld geführten Preisvorteile gegenüber den deutschen Großanlagenbauern deutlich zu schrumpfen. Genaue Daten liegen nach Aussage Rosenthals zwar nicht vor, der VDMA gehe aber bei vorsichtiger Schätzung derzeit von Preisabständen von nur noch 10 bis 20 Prozent aus. Vor wenigen Jahren lagen diese noch zwischen 25 und 50 Prozent.

Der AGAB-Sprecher selbstbewusst: „Auch die chinesischen Anbieter haben gelernt, dass die erfolgreiche Abwicklung komplexer Großprojekte mit hohen Risiken nicht zu dauerhaften Niedrigpreisen machbar ist.“ Vor diesem Hintergrund sieht man im VDMA die kurz- bis mittelfristigen Aussichten der Branche als weiterhin positiv. Für das laufende Jahr rechnet die Arbeitsgemeinschaft mit nochmals wachsenden Auftragseingängen und plant einen weiteren Beschäftigungsaufbau.

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