Engineering Atomistisch simuliert

Redakteur: Redaktion PROCESS

In der verfahrenstechnischen Forschung und Industrie nimmt das Interesse an Molecular Modeling zu. Gefragt sind leicht handelbare Simulationsprogramme, die mit großem Know-how zuverlässige und reproduzierbare Ergebnisse schaffen. Forschungsbedarf besteht sowohl aus industrieller als auch aus wissenschaftlicher Sicht.

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In der verfahrenstechnischen Forschung und Industrie nimmt das Interesse an Molecular Modeling zu. Gefragt sind leicht handelbare Simulationsprogramme, die mit großem Know-how zuverlässige und reproduzierbare Ergebnisse schaffen. Forschungsbedarf besteht sowohl aus industrieller als auch aus wissenschaftlicher Sicht.

Makroskopische Eigenschaften von Kunststoffen, pharmazeutischen Wirkstoffen und Hightech-Materialien stehen in direktem Zusammenhang mit der dreidimensionalen Gestalt der Moleküle, aus denen sich das Material aufbaut. Setzt man die Computersimulation zur Modellierung von Molekülen wirkungsvoll ein, lassen sich wesentliche produktrelevante Eigenschaften vorhersagen. Im Idealfall sind die Eigenschaften und Funktionen neuer Verbindungen bekannt, bevor auch nur ein Milligramm davon existiert.

Da der zunehmende Konkurrenzdruck in der Chemie- und Pharmaindustrie eine drastische Reduktion der Entwicklungszeiten und eine signifikante Effizienzsteigerung bei der Durchführung von Projekten erfordert, werden mit der Entwicklung neuer Produkte zunehmend externe Dienstleister beauftragt. Infraserv Knapsack zum Beispiel bietet unter dem Namen Smart R&D in Zusammenarbeit mit dem Start-up-Unternehmen Q-Chem Dr. Esch & Wegerhoff eine Dienstleistung an, die beim molekularen Konzept einer neuen Verbindung beginnt und sowohl die Synthese erster Substanzmengen im Labormaßstab als auch die Planung und Konstruktion der Produktionsanlage zur Herstellung der Verbindung in größeren Mengen umfasst. In Forschung und Entwicklung chemischer oder pharmazeutischer Unternehmen werden mit Hilfe von Molecular Modeling viele resourcenintensive Laborversuche eingespart.

Das Screening großer Substanzbibliotheken wird so auch zur zielgerichteten Entwicklung neuer Materialien mit maßgeschneiderten Eigenschaften eingesetzt, um aus der Vielzahl potenzieller Basismoleküle besonders aussichtsreiche Kandidaten für das eigentliche Laborexperiment zu selektieren. Moderne Computerprogramme verwenden dafür unterschiedliche sogenannte Deskriptoren, die zum Beispiel aus der dreidimensionalen Struktur der Verbindungen abgeleitet werden können. Bevorzugt werden topologische Eigenschaften zur Beschreibung interpretierbarer und physikalisch- chemischer Deskriptoren, wie van der Waals-Volumina, molares Volumen, Löslichkeitsparameter, Dichten, elektrische, optische und magnetische Eigenschaften, herangezogen.

Nadeln im Heuhaufen aufspüren

In der Vergangenheit wurden einfache Screening-Verfahren, sog. Inkrement- Verfahren, genutzt, bei denen sich die gewünschte Eigenschaft lediglich als Summe der im Molekül vorhandenen chemischen Gruppen aufaddiert. Die heute für die Beschreibung quantitativer Struktur-Eigenschafts-Beziehungen eingesetzten topologischen Deskriptoren berücksichtigen neben rein geometrischen Eigenschaften vor allem auch die atomare Umgebung im molekularen System einschließlich der elektronischen Struktur der einzelnen Atome in den Verbindungen.

Damit lässt sich die „Eigenschaft“ einer bestimmten Verbindung auf der Basis von physikalisch-chemischen Gesetzmäßigkeiten berechnen. Nach dieser Vorauswahl werden die aussichtsreichsten Kandidaten mit aufwändigeren Simulationsverfahren, wie quantenmechanischen Berechnungen, Molekulardynamik-, Molekularmechanik- oder Monte-Carlo-Simulationen bezüglich der geforderten Struktur-Eigenschafts-Beziehungen (QSPR) detaillierter charakterisiert.

Mit Hilfe dieser Verfahren lassen sich eine große Anzahl industriell relevanter Fragestellungen innerhalb kurzer Zeit beantworten, beispielsweise die Optimierung von Löslichkeiten organischer Verbindungen in Polymermaterialien durch die Einbringung entsprechender Seitengruppen sowie die Entwicklung hocheffizienter Darreichungsformen von Wirkstoffen oder neuer, mikroskopisch verstärkter Hochleistungswerkstoffe mit maßgeschneiderten Eigenschaften. Auch komplexe Fragen aus den Bereichen der Formulierungstechnik oder der Oberflächeneigenschaften wie beispielsweise der Adhäsion können beantwortet werden. Als Input für die Computersimulationen dient lediglich die molekulare Struktur der zu untersuchenden Substanz.

Löslichkeit am Computer erhöhen

Ein Beispiel ist die Vorhersage von Lösemitteleffekten, mittels der klassischen thermodynamischen Ansätze zur Betrachtung binärer Polymer/Lösemittel/ Additiv-Systeme, wie sie unabhängig voneinander von P.J. Flory und M.L. Huggins entwickelt wurden. Diese Ansätze basieren auf einer Gittertheorie, die den Einfluss der unterschiedlichen Größenskalen von Polymermolekülen und Lösemittel- bzw. Additivmolekülen auf die Mischungsentropie beschreibt.

Die quantitative Betrachtung der Mischungsentropie bzw. die thermodynamische Beschreibung der Eigenschaften von Polymerlösungen führte zur Einführung einer dimensionslosen Größe, dem so genannten Flory-Huggins-Wechselwirkungsparameter x. Dieser Parameter berücksichtigt die spezifischen Wechselwirkungen zwischen den Polymersegmenten und den Lösemittel- bzw. Additivmolekülen.Mit Hilfe der Flory-Huggins-Theorie können die Wechselwirkungen zwischen Polymer und Lösemittel bzw. einem Additiv durch den Flory-Huggins-Wechselwirkungsparameter beschrieben werden. Für die Freie Mischungsenthalpie DGM ergibt sich damit:

Berücksichtigt sind hierbei die allgemeine Gaskonstante R, die absolute Temperatur T, die Molfraktion die Volumenfraktion sowie der Wechselwirkungsparameter der von der Zusammensetzung der Lösung abhängt. Die ersten beiden Terme resultieren aus der kombinatorischen Entropie des binären Systems unter Berücksichtigung der stark unterschiedlichen Molekülgrößen. Der letzte Term resultiert nach der Flory-Huggins-Theorie aus der Mischungsenthalpie.

Damit beide Komponenten, d.h. Polymer und Lösemittel bzw. Additive mischbar sind, muss die Freie Mischungsenthalpie DGM negativ sein. Da die beiden ersten Terme negative Beiträge liefern, muss der dritte Term im Falle eines positiven Wechselwirkungsparameters x kleiner als diese kombinatorischen Entropiebeiträge sein. Unter dieser Bedingung sind Polymer und Lösemittel bzw. Additiv mischbar. Wird diese Bedingung nicht erfüllt, treten zwei Phasen auf.

Im Rahmen von Computersimulationen zur Untersuchung der Mischbarkeit von Polymeren mit Lösemitteln bzw. Additiven werden die Koordinationszahlen einer sehr großen Anzahl möglicher molekularer Anordnungen ermittelt. Die Koordinationszahlen und die entsprechenden Wechselwirkungsenergien werden hierbei für alle möglichen Kombinationen von Molekülen berechnet.

Da die Daten auf Grund bekannter physikalisch-chemischer Gesetzmäßigkeiten berechnet werden, kann bei der Berücksichtigung physikalisch bzw. chemisch sinnvoller Randbedingungen ein großer Teil grundlegender Arbeiten im chemischen Labor und damit viel Zeit gespart werden. Beispielsweise werden zur Charakterisierung einer einfachen Polymer-Mischung mit dem Computermodell etwa drei bis vier Tage, im Labor jedoch ein Personalaufwand von drei bis vier Mannwochen benötigt.

Konstruktion neuer Werkstoffe

Neben der Vorhersage von Mischungseigenschaften ermöglichen atomistische Computersimulationen auch die Vorhersage komplexer Materialparameter wie z.B. mechanischer, thermischer oder optischer Eigenschaften. Hierzu werden zunächst dreidimensionale Molekülmodelle der interessierenden Materialien im Computer aufgebaut.

Mit geeigneter Simulationsverfahren lassen sich anschließend die entsprechenden Materialparameter berechnet. Durch die Korrelation mit z.B. empirischen Daten lassen sich so für einen spezifischen Anwendungsbereich maßgeschneiderte Materialien entwickeln. Unerlässlich ist jedoch der permanente Abgleich der Eigenschaften des Computermodells mit denen des real existierenden Materials.

Scale-up für Synthese Materialien

In der Regel erhält man aus dem Ergebnis der Simulationen, d.h. einer bereits stark reduzierten Anzahl von möglicher Strukturen, sehr detaillierte Informationen über besonders aussichtsreiche Kandidaten, die für die Erreichung der gewünschten Eigenschaft eingesetzt werden könnten. Bis die ersten Chargen des theoretisch ermittelten neuen Produkts hergestellt werden können, ist es auch nach erfolgreich abgeschlossener Simulationen noch ein weiter Weg.

Um die Ergebnisse aus den Computersimulationen umzusetzen, werden bei Q-Chem Dr. Esch & Wegerhoff zunächst Referenzsubstanzen hergestellt und Synthesemöglichkeiten entwickelt. Hat sich ein Syntheseweg im Labor bewährt, beginnen die Infraserv-Mitarbeiter mit der Auslegung zunächst der Technikums- und schließlich der großtechnischen Produktionsanlage.

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