Roadmap Prozess-Sensoren Anforderungen und Entwicklungsziele für die Sensorik von morgen zeigt die Technologie-Roadmap Prozess-Sensoren 2015+

Redakteur: Anke Geipel-Kern

Damit Prozesssensoren fit für die Zukunft werden, müssen sie robuster, genauer und dazu noch inlinefähig werden. Welche Anforderungen die Anwender noch haben, geht aus der Technologie-Roadmap Prozess-Sensoren 2015+ hervor.

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Bei der Prozessgasanalyse kommen Sensoren in Form von Gaschromatographen zum Einsatz. (Bild: Siemens)
Bei der Prozessgasanalyse kommen Sensoren in Form von Gaschromatographen zum Einsatz. (Bild: Siemens)

Die Wettbewerbsfähigkeit der chemisch-pharmazeutischen Industrie basiert auf hoher Produktqualität bei einer optimalen Nutzung von Anlagen, Rohstoffen und Energie. Die gilt nicht nur für die Prozessindustrie, sondern auch für die Kraftwerksindustrie, in der Energieerzeugung, der Petrochemie, der Papier- und Zellstoffherstellung, der Wasserversorgung sowie der Nahrungs- und Genussmittelindustrie. Daher stellen eine zuverlässige Prozessautomation und eine leistungsfähige Prozessführung einen globalen Wettbewerbsvorteil dar.

Um Produktionsprozesse optimal zu steuern, reicht die Palette von den klassischen Sensoren z.B. für Temperatur oder Druck über weitere Messgrößen der Prozessanalysenmesstechnik bis hin zur Prozessanalytik. Diese liefert wertvolle spezifische Informationen über Konzentrationen und Eigenschaften interessanter Komponenten des betrachteten Produktionsschritts und deren zeitlichen Verlauf. Die vielfältigen Randbedingungen der Verfahrensschritte und Subprozesse (Reaktion, Polymerisation, Fermentation u. Ä.) bestimmen dabei die Anforderungen, die der Anwender an Prozesssensoren stellt. Welchen Bedarf es hier gibt, welche Trends auszumachen sind, und Vorschläge, wie die Entwicklungsziele erreicht werden können, stellt die aktuelle Fassung der Technologie-Roadmap "Prozess-Sensoren 2015+" vor. Sie wurde von NAMUR und GMA initiiert, unter Mitwirkung der Unternehmen ABB, BASF, BTS, BIS Prozesstechnik, E+H, Siemens und der BAM auf den aktuellen Stand gebracht und ist frei im Internet zugänglich. [1–2]

Was braucht die Industrie?

Weil jede Anlage ein Unikat darstellt, ist eine Verallgemeinerung schwierig. Deshalb musste für die Roadmap eine Ebene gefunden werden, welche die Anforderungen noch detailliert genug beschreibt und in ihren typischen Einsatzbedingungen (z. B. Temperatur- und Druckbereich, Messunsicherheiten, erforderliche zeitliche Auflösung, etc.) charakterisieren kann. Gesucht wurden technische Lösungswege, die eine zukünftige Umsetzung der Messaufgabe ermöglichen – inklusive einer Einschätzung der Hersteller, wie die zeitliche Realisierbarkeit aussehen kann. Die Ergebnisse der Anwenderabfrage wurden nicht nur im Rahmen konkreter Verfahrensschritte und Subprozesse betrachtet, sondern auch in übergreifenden Kernthesen zusammengefasst. Diese lassen sich grob in zwei Klassen unterteilen:

  • Die Sensoren bedürfen einer ständigen Verbesserung, weil die Anforderungen ebenso stetig wachsen. Zusätzlich gibt es lange bestehende Anforderungen, für die noch gar keine Lösung existiert.
  • Völlig neue Aufgaben oder wachsende Anforderungen stellen Ansprüche an die Sensoren, welche die heutige Technologie oder eine Weiterentwicklung davon nicht erfüllen kann. Hier muss ein neues Messprinzip gefunden werden, und in vielen Fällen bedeutet dies die Entwicklung neuer Technolgien.

Zur ersten Klasse gehören eine Reihe von Forderungen, die bekannt sind: eine höhere Robustheit und Langzeitstabilität bei niedrigem Instandhaltungsbedarf sowie die höhere Genauigkeit von Prozesssensoren – auch bei klassischen Messgrößen wie Temperatur oder pH-Wert. Beispielsweise ließen sich mit einer präziseren Temperaturmessung Rektifikationen auf gezielte Produktspezifikationen hin steuern. Richtige Messungen werden nicht nur zunehmend wichtig für die Freigabe, sondern auch, wenn verstärkt verfahrenstechnische Modelle für die Prozesskontrolle zum Einsatz kommen. Dahinter steht die Vision des „idealen Prozesssensors“ [3], der u. a. rückwirkungsfrei arbeitet, eine hohe Verfügbarkeit aufweist und die Messgröße in Echtzeit aufnimmt.

Weitblick gefordert

Zudem müssen Entwickler neuer Prozesssensoren technologischen Weitblick beweisen, wenn es um die Kompatibilität beim Bau von Neuanlagen und zunehmend auch die Optimierung bestehender Anlagen geht. Die Anforderungen an die Prozesssensorik gehen zukünftig über die reine Sammlung von Prozessinformationen hinaus. Denn die Anwender müssen auch Zwischen- und Trendinformationen zu Produkteigenschaften erfassen können, da diese die Produktqualität beeinflussen. Der Trend zu Inline-Messungen, die Informationen über Stoffeigenschaften mit einer geringen Zeitverzögerung liefern, wächst deshalb. Hier wird neben anderen Ansätzen vermehrt Mikrosystemtechnik zum Einsatz kommen, beispielsweise um schnellere Chromatographiesäulen (Nanobore-Säulen) zu realisieren, aber auch Mikroverfahrenstechnik und die Verbesserung der Probenvorbereitung werden künftig eine wichtige Rolle spielen.

Auch angrenzende Branchen mit schnellen Entwicklungszyklen und hohen Stückzahlen können die Entwickung von Prozesssensoren vorantreiben. So entstehen und entstanden in den Branchen Automobil, Telekommunikation, Multimedia sowie Medizintechnik eine Fülle neuer Produkte und Technologien, die auch Lösungen für die Prozesssensorik bieten können. Ein Einsatz modularer Technologie und geeignete Standards können ebenfalls dazu beitragen, neue Prozesssensorik wirtschaftlich und damit attraktiv für Hersteller und Markt zu machen. Diese Aufgaben sind am schnellsten zu erfüllen, wenn Anwender, Hersteller und Forschung gemeinsam an der Entwicklung arbeiten.

Großes Potenzial schlummert in der sensorgestützen Prozessführung und Prozessoptimierung, denn dort werden Prozessdaten bisher nicht konsequent eingesetzt. Vielmehr dienen sie hauptsächlich noch der Registrierung und Überwachung von Prozessen.

Neue Aufgabenfelder

Dort, wo völlig neue Ansätze erforderlich sind, weil eine Verfahrensanpassung oder eine Weiterentwicklung des Geräts nicht hilft, ergeben sich vor allem drei Wünsche an die Technologie:

Räumliche Auflösung

Der Wunsch, Stoffeigenschaften inline zu messen, führt in letzter Konsequenz dazu, dass die räumliche Verteilung der verschiedenen Prozessgrößen abgebildet werden muss. Dazu ist es erforderlich, die heute eingesetzten punktuellen Messverfahren in Verfahren um zu wandeln, mit denen sich die räumliche Struktur eines Objektes ermitteln lässt. Hier werden volumetrische, tiefenaufgelöste Information nötig.

Sobald hier technologische Lösungen in greifbare Nähe rücken, werden diese gleichzeitig neue Fragen hinsichtlich der Systemintegration und Informationsverarbeitung aufwerfen, z. B. nach Entscheidungskriterien oder der Visualisierungart für den Anlagenfahrer (beispielsweise als Abweichung von einem definierten Referenzzustand). Hier ist weiterer Forschungs- und Entwicklungsbedarf abzusehen, der über die Entwicklung der Sensortechnologie selbst hinausgeht.

Neue Messgrößen

Besonders deutlich wurde bei der Überarbeitung der Roadmap, dass der Trend zu Bioprozessen (auch für bisher konventionell chemisch hergestellte Produkte) Sensoren verlangt, die heute noch nicht angeboten werden. Beispiele hierfür sind die prozesstaugliche Zielproteinanalyse und die Prozessanalytik mit Einweg-Sensoren im bioverfahrenstechnischen Umfeld: Um Reinigungszeiten von Bioprozessanlagen zu reduzieren, ist eine erhöhte Nachfrage nach so genannten „disposable Fermentern“ zu beobachten.

Ebenso wie die Fermenter müssen dann auch die integrierten Prozessssensoren als Einwegsysteme ausgelegt sein. Dies fordert entweder eine drastische Verbilligung der Prozesssensoren, die Austauschbarkeit der medienberührenden Sensorteile oder ganz neue, nichtinvasive Sensortechnologien.

Online-Spurenanalytik

Der wachsende Bedarf wird bei der Gasanalytik besonders deutlich, wo Gaskomponenten mit immer niedrigeren Erfassungsgrenzen überwacht werden. Die Messaufgabe stellt sich für Komponenten in der Raum- oder Betriebsluft oder wenn es darum geht, Sauerstoffspuren in Inertprozessen aufzuspüren. Spuren-analytik ist auch notwendig, um geringe Konzentrationen an Katalysatorgiften in Einsatzstoffen wie technischen Gasen (z.B. Biogasen, Gasen für Brennstoffzellen) zu ermitteln.

Daraus ergeben sich Forderungen nach Messbereichen bis in den niedrigen ppm- oder ppb-Bereich für einzelne Komponenten. Die heute marktüblichen Technologien wie elektrochemische Sensoren stoßen diesbezüglich an ihre Grenzen. Einige aktuelle Verfahren, z. B. Quantenkaskadenlaser für laserbasierte Analysatoren oder Miniaturisierungen, die es ermöglichen Laborspektrometer in Prozess-Spektrometer zu überführen, müssen weiter vorangebracht werden.

Zusammenfassung

Die Technologie-Roadmap zeigt das Innovationspotenzial der Prozesssensorik, die aus Sicht der chemisch-pharmazeutischen Industrie eine konsequente Weiterentwicklung und ständige Verbesserung benötigt, um den Anforderungen gerecht zu werden. Die Roadmap liefert zudem Perspektiven für Forschungs- und Entwicklungsförderung und gibt Ansätze für die Normungsarbeit. Damit sollte sie auch für Politik, Industrieverbände und Gremien interessant sein. Denn neben der Weiterentwicklung muss auch das Vertrauen in die komplexe Technologie gestärkt werden.

Literatur

[1] http://www.namur.de bzw. http://www.vdi.de/gma/prozess-sensoren2015.

[2] Maiwald, M., atp-edition 52, (2010)(1–2), 40–45

[3] Sanden, F. et al.: Anforderungen an Sensorsysteme zur Prozessführung, 66. NAMUR-Hauptsitzung, Lahnstein, 7.11.2002.

* Der Autor leitet die Fachgruppe Prozessanalytik der BAM Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung.

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