Wasserstoffwirtschaft Alleskönner oder Energiefresser – Wunderstoff Wasserstoff unter der Lupe
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Geht es um die Defossilierung von Energie- und industrieller Wertschöpfung kann Wasserstoff (fast) alles – oder? Während die einen von grünem Gas träumen, verdammen die anderen Elektrolyse-Wasserstoff als Verschwendung wertvoller Energie. Was kann der Wunderstoff der Energiewende – und was vielleicht nicht?

Ein Gespenst geht um in Europa: Das des Blackouts, der Dunkelflaute und der Energiearmut. Geschieht ihnen ganz Recht, mögen die einen sagen (hätten Sie doch das Thema Energiewende nur schneller und engagierter verfolgt) – aber die sozialen, ökonomischen oder politischen Folgen wären heftig und unvorhersagbar. Nicht erst seit Ukraine-Krieg und Gaskrise sind Energiespeicher gefragt.
Zuletzt schien es ja, als sei die Angst vor der Dunkelflaute, die jahrelang die Diskussion um erneuerbare Energien bestimmte, unbegründet: Die grüne neue Welt werde es richten, Energie sei überhaupt zu sparen, Strom können gegebenenfalls im Netz gespeichert werden und aller schlimmstenfalls gäbe es ja noch die Gaskraftwerke.
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Dass es mit dem Gas nicht ganz so einfach ist, muss spätestens nach der Zerstörung der Nordstream-Pipeline niemandem mehr erklärt werden. Jetzt ist guter Rat teuer – und ein alter Bekannter wieder groß im Kommen. Wasserstoff hätte als Energiespeicher großes Potenzial betont dementsprechend Prof. Dr. Fritz Pörnbacher, Präsdient der Hochschule Landshut im Rahmen der Landshuter Energiegespräche. Die Idee ist nicht neu: Statt Speicherseen oder Batterien mit regenerativer Energie Elektrolysegas erzeugen und wenn nötig rückverstromen oder sauber verbrennen – in jedem Fall liebe nichts als klimaneutraler Wasserstoff zurück. Alternativ kann Wasserstoff natürlich auch in Power-to-X-Prozessen als Basis für Brenn- und Kraftstoffe oder Kohlenwasserstoffe in der Chemie dienen.
Energie-Sekt oder Power-to-Selters? Die schwierige Rolle des Wunderstoffs
Was könnte man nicht alles erreichen, wenn man nur genügend H2 hätte… Solange, so meint es zumindest Prof. Dr. Josef Hofmann, Chemiker und Professor für Energie- und Umwelttechnik sowie Sprecher des Forschungsschwerpunkts Energie der Hochschule, seien die effiziente Nutzung und Einsparung von Energie „unbedingt notwendig“. Das Risiko für einen flächendeckenden Blackout im deutschen Stromnetz habe sich leider mit dem Ukraine-Krieg und der daraus entstandenen Energiekrise deutlich erhöht, so der Wissenschaftler. Auch das 1,5°-Grad-Klimaziel hält der Forscher für „nicht mehr zu halten“ – immerhin, beim Thema Wasserstoff erlaubt sich Prof. Hofmann ein bisschen mehr Optimismus.
„Wenn wir regenerative Energien in Deutschland stemmen wollen, müssen wir die Erzeugung von Wasserstoff aus regenerativen Quellen und dessen Nutzung enorm ausbauen“, ist der Energiespezialist überzeugt – und stellt dann doch das vielzitierte Beispiel vom „Champagner der Energiewende“ (ein Zitat von Energieexpertin Prof. Dr. Claudia Kemfert) hinten an. Wo und wann aber ist dann der Einsatz von Wasserstoff sinnvoll? Es ist die alte Sekt- oder Elsters-Frage: Wasserstoff soll zwar (mit der Einschränkung „wo nötig“) auch kleine Probleme (etwa der Kohlenwasserstoff-Gewinnung für Basischemikalien lösen), zugleich aber so wertvoll sein, dass seine befürchtete „Verschwendung“ unwirtschaftlich sei.
Save the Date:
Der nächste Vortrag im Rahmen der Landshuter Energiegespräche im Wintersemester 2022/2023 wird sich mit dem Einsatz von Wärmepumpen in Bestandsgebäuden befassen (12. Dezember 2022, 18.30 Uhr).
Weitere Informationen und AnmeldungWasserstoff ist (und bleibt) eine Notwendigkeit
Halten wir fest: Für viele Produkte und die Industrie in Deutschland ist Wasserstoff eine notwendige Grundchemikalie, etwa bei der Verfahrenstechnik zur Herstellung von Düngemitteln, Kunststoffen, Pharmazeutika, Solarzellen und Wafern für die Chipproduktion. Alles Anwendungen, auf die man – Energiewende hin oder her – schlecht verzichten will oder sogar kann bzw. die für die Erzeugungsanlagen vom Windkraftwerk bis zum PV-Panel dringend benötigt werden. Aber Wasserstoff ist eben auch ein Gas mit einer geringen Dichte (und daher großem Volumen in der Gasphase) einem Siedepunkt von Minus 253 ° C. Soll der begehrte Stoff etwa für den Transport flüssig werden, muss er bis nahe an den absoluten Nullpunkt gekühlt oder stark verdichtet werden.
Wasserstoff gibt es schon heute: So wird in Deutschland derzeit pro Jahr eine H2-Menge produziert, die einem Energiegehalt von rund 57 Terrawattstunden entspricht, erklärt eine Fraunhofer-Metastudie (zum Vergleich: Der jährliche Gesamtstrombedarf der Bundesrepublik liegt derzeit bei rund 580 Terrawattstunden). Aber: Es droht nach Erdgas auch beim Thema Wasserstoff eine Gaslücke, so die Fraunhofer-Institute: Ab 2030 übersteige der Bedarf (Prognose bis zu 80 Terawattstunden) die Erzeugerkapazitäten deutlich. 2040 würde schon das Äquivalent von 100 bis 300 Terawattstunden, 2050 Gas für zwischen 400 und 800 Terawattstunden benötigt. Da bleibt zu hoffen, dass die Energiewende-Sektkeller gut gefüllt sind.
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Wasserstoff-Projekte 2021
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Grün, grau oder bio? Woher soll der Wasserstoff kommen
Aber woher kommt das Gas eigentlich? Derzeit ist Wasserstoff relativ selten „grün“ – der Löwenanteil ist mit Erdgas erzeugter sog. Grauer Wasserstoff, bei dessen Produktion große Mengen Kpohlendioxid frei werden. Klimafreundlich ist das nicht, gibt Hofmann zu Bedenken. Es brauche also Elektrolysegas, am besten mittels regenerativer Energie erzeugtes (sog. Grüner Wasserstoff) aber zumindest emissionsneutral gewonnenes Gas. Allerdings ist schon der theoretische Strombedarf mit etwa 53 kWh pro Kilo H2 erheblich (dazu kommen Wirkungsgradverluste – so beträgt der Wirkungsgrad großer Elektrolyseure derzeit rund 74 Prozent.
Natürlich gäbe es zur Elektrolyse Alternativrouten, etwa über die Vergasung von Biogas mit Wasser – doch das sei „energetisch unsinnig“ so Hoffmann, und Biogas daher besser direkt zu nutzen. „Spannend“ sei eher die Wasserstoffgewinnung auf einer Kläranlage, da das Koppelprodukt Sauerstoff direkt in der Abwasserreinigung eingesetzt werden könnte. Also kein H2 vom Landwirt – aber woher dann? Geht es nach Hoffmann, würde Wasserstoff dort erzeugt, wo Strom aus regenerativen Energiequellen kostengünstig produziert werden kann. Soweit, so gut. Der Professor rechnet vor, dass in Küstengebieten Windstrom für 4 Cent/kWh, in Bayern etwa über Photovoltaik für 6 Cent/kWh hergestellt werden. Die tatsächlichen Kosten seien aber wegen des teuren Stromtransport, der Anschaffung von Elektrolyseuren und der Vergütungsmodelle wesentlich höher.
H2-Importweltmeister? Wasserstoff aus aller Welt
Wenn also die H2-Gewinnung in Deutschland schwierig und teuer ist und zudem mit der Stromerzeugung konkurriert, warum nicht einfach Wasserstoffgas importieren? Etwa aus dem sonnigen Australien, per Schiff bis an die Waterkant. Auch dafür müsste das Gas auf unter -253°C abgekühlt werden – kein Ding der Unmöglichkeit, allerdings würde rund 30 Prozent des Energieinhalts auf diese Weise „verloren“ gehen. Nach der Verflüssigung läge der Gesamtwirkungsgrad bei etwa 50 Prozent.
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Grünes Ammoniak
Besser als Wasserstoff: Schlägt NH3 den Wunderstoff der Defossilierung?
Eine andere Möglichkeit wäre es, Wasserstoff unter Druck zu speichern, was den Wirkungsgrad um ca. 15 Prozent senken würde. Diese Option wird gerne für Anwendungen im Verkehrssektor ins Gespräch gebracht, da sie große Reichweiten und schnelle, einfache und komfortable Betankungsvorgänge ermöglicht. Allerdings wären die Kosten für Infrastruktur und Tankstellen mit entsprechender Sicherheitstechnik relativ hoch. Bleiben Power-to-X-Prozesse, bei denen aus Wasserstoff und CO2 etwa Methan (Power-to-Gas) gewonnen wird. Dieses lässt sich (analog LNG) bei rund -164 ° zu flüssigem Methan verdichten oder als Ersatz für Erdgas direkt ins Erdgasnetz einspeichern.
H2-Speicher gesucht: Was ist mit Ammoniak und Methanol?
Eine Alternative (und in Hofmans Augen eine zukunftsfähige Lösung) wäre es, Wasserstoff als Flüssigkeit zu speichern, etwa in Form von Methanol oder Ammoniak. Dazu bräuchte es allerdings CO2 in hoher Konzentration (etwa aus Biogas- und Klärgasanlagen). Dem Professor schwebt etwa vor, in Island zu Weltmarktpreisen Methanol aus regenerativem Wasserstoff und Kohlendioxid aus Vulkanismus produzieren und dieses als Flüssigkeit speichern. Ein großer Vorteil dabei ist der höhere Siedegrad von 64,7 ° C sowie die Zündtemperatur von 440 ° C. Methanol ist darüber drucklos speicherbar und der Umgang etwa aus Anwendung im Motorsport vertraut. Außerdem ist der Alkohol als Kraftstoffersatz verwendbar, etwa in (umgerüsteten) Ottomotoren. Nicht verschwiegen werden sollte allerdings ein Energieverlust von ca. 25 Prozent bei der Methanol-Herstellung.
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Wasserstoff könnte so viel – wann man das begehrte Gas denn hätte. Und so bleiben die Landhuter beim alten Gedanken vom Energie-Champagner. Sinn mache der Einsatz von Wasserstoff für Hofmann nur dort, wo der CO2-Ausstoß am meisten verringert werden kann und wo Strom aus erneuerbaren Quellen im Überschuss vorhanden ist. Als wäre das nicht genug, sollten natürlich durch den Gasimport nicht noch neue Abhängigkeiten von Ländern mit problematischen Menschenrechtssituation oder diktatorischen Regimen entstehen. Und der Ausbau von Erzeugung und Nutzung erneuerbaren Energiequellen sei ohnehin zwingend erforderlich.
Zwischen Euphorie und Ernüchterung: Wasserstoff auf dem Prüfstand
Eine Idee laute auch, im Sommer mit Photovoltaik erzeugten Strom, mit Hilfe von grünem Wasserstoff für das Winterhalbjahr im Wohngebäudebereich zu speichern und unter Einsatz in Brennstoffzellen für die Strom- und Wärmeversorgung zu nutzen. Allerdings seien Elektrolyseure sowie Brennstoffzellen für diesen Anwendungsbereich derzeit noch zu teuer. Durch Fördermaßnahmen des Staates sei auch Photovoltaik in den Markt gekommen, das wäre evtl. auch in diesem Bereich wünschenswert und notwendig.
Daher klingt manches Plädoyer etwas gespalten: Einerseits sollte die effiziente Nutzung von Energie und CO2-Einsparung Vorrang haben – also vermeiden, sparen und direkt nutzen – andererseits die Politik bürokratische Hürden und Denkverbote bei der Wasserstoffnutzung aus dem Weg räumen. Dann wäre die schöne neue Welt mit dezentralen Speicherstrukturen, etwa mit Elektrolyseuren bei Kläranlagen, und resilienten kommunalen Energiesysteme fast schon da. Im Verkehrsbereich sei Wasserstoff (des Gesamtwirkungsgrades wegen) für die private Nutzung schlicht verboten, für LKW, Bus oder als Kerosinersatz im Flugzeug jedoch diskutabel. Es bleibt nicht ohne Widersprüche. Aber so ist das vielleicht, wenn man alle Probleme der Welt auf einmal lösen möchte.
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